Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Neue Ideen treffen auf alte Vorstellungen
Ein Neubaugebiet entzweit Wangen – In der Allgäuer Stadt ist eine Grundsatzdebatte um Wohnformen im Gange
WANGEN - Was tun gegen Wohnraummangel? Diese Frage hat vor Ort ganz konkrete Ausprägungen. Ein Beispiel ist Wangen (Landkreis Ravensburg). Über kurz oder lang wird die Allgäustadt die 28 000-Einwohner-Marke knacken. Der Bedarf an Wohnraum ist enorm – und zwar in allen Einkommensschichten. Offen ist, welche Richtung beim Wohnungsbau eingeschlagen werden soll. Eine Grundsatzdebatte ist in Gang geraten.
Wer in Wangen und Umgebung fremd ist, dem fällt – neben der malerischen Altstadt – sofort das viele Grün auf. Wohnungsmangel müsste ein Fremdwort sein, denkt man. Denn: Bebaubare Fläche gibt es doch sicher mehr als genug.
Irrtum. Wangen hat in der Tat jede Menge Wiesen und Natur. Aber der kleinste Teil ist bebaubar. Die Gründe dafür sind unterschiedlich. Einer lautet: Die Stadt ist umringt von geschützten Flächen. Ein anderer hat mit der Landwirtschaft zu tun: Die Bauern bewirtschaften ihren Boden. An Verkauf denken die wenigsten, allein der niedrigen Zinsen wegen.
Also herrscht in Wangen Flächenmangel für Bauland. Deshalb stellt sich die Frage: Was soll auf den wenigen bebaubaren Flächen entstehen? Die gerade in ländlichen Gebieten lange so beliebten Einfamilienhäuser? Oder ist eine andere Denkweise nötig, um mehr Wohnraum generell, insbesondere für einkommensschwächere Menschen zu schaffen?
An einer vier Hektar großen Wiese zwischen zwei bestehenden Baugebieten scheiden sich da die Geister. Vor gut anderthalb Jahren traten mit Michael Scheidler und Matthias Vetter zwei örtliche Architekten auf den Plan, die eine Grobskizze für die Wiese vorstellsten: Mehrgeschosser prägten die Zeichnung, mit Wohnungen auf drei bis vier Etagen und gemeinschaftlich nutzbaren Grünflächen. Autos sollen weitgehend draußen bleiben, in einem zentralen Parkhaus.
Die Idee schockierte die bestehende Nachbarschaft in den Haid und Wittwais genannten Siedlungen mit vielen Eigenheimen. Weil viele die Idee der Architekten für nicht verträglich halten, gründete sich eine Bürgerinitiative. Mehr als 200 Mitglieder hat sie mittlerweile nach eigenen Angaben. Mit Geschosswohnungsbau verbinden diese offenbar vielfach Wohntürme oder Blöcke, die ihnen die Lebensqualität auf der eigenen Scholle einschränken könnten. Das wurde deutlich, als die Stadt in diesem Frühjahr ihre eigenen, ersten Ideen für die vier Hektar Bauland bei einer Versammlung vorstellte.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Architekten ebenfalls eine Initiative gegründet – das Wohnungsbauforum Wangen. Die deutlich kleinere Gruppierung aus Experten, fachlich Interessierten und einigen Lokalpolitikern will seither eine Gegenbewegung anstoßen: weg vom klassischen Einfamilienhaus, hin zu Mehrfamiliengebäuden mit (grünem) Innenleben, Gemeinschaftsflächen und – wo möglich – auch anderen Wohnformen. Dabei haben sie historische Vorbilder: Siedlungen früherer Jahrzehnte, etwa aus den 1920er-Jahren in München.
Der Wangener Gemeinderat kennt die Anliegen der Anwohner von Haid und Wittwais, aber auch die Vorschläge des Forums und der Stadt. Letztere setzt auf eine Mischform aus Einfamilien-, Reihen-, Doppel- und Mehrfamilienhäusern – mit dem Schwerpunkt auf dem klassischen Eigenheim. Allerdings: Im Auftrag der Kommune werden aktuell drei Varianten für die Wiese entwickelt, anschließend dürfte es eine Grundsatzentscheidung der Lokalpolitik geben. Wobei Oberbürgermeister Michael Lang den Grundsatz prägt: Neues muss zu Altem passen. Sprich: Anwohnern sollte nichts vor die Nase gesetzt werden, was nicht passt.
Bis entschieden, konkret geplant und letztlich gebaut wird, dürfte Zeit vergehen. Dabei ist es aber nicht so, dass sich in Wangen auf dem Wohnungsbausektor nichts tut. Eben erst hat die örtliche Baugenossenschaft – größter Anteilseigner ist die Stadt – ein Großprojekt abgeschlossen. In den vergangenen zwölf Jahren sind acht große Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 136 Wohnungen entstanden. Für zusammen 17 Millionen Euro und übrigens mitten in der Wittwais und ganz in der Nähe der umstrittenen Wiese.
In einem anderen Stadtviertel, nahe dem stillgelegten Industriegelände der früheren Baumwollspinnerei Erba und dem Mittelpunkt der Landesgartenschau 2024, geht es bald los. Wie in der Wittwais weichen dort marode Gebäude modernen Mehrgeschossern. 67 Zwei- bis Vier-Zimmerwohnungen sollen dort entstehen – ebenfalls unter der Ägide der Baugenossenschaft. Die ersten könnten 2019 fertig sein.
Dass all diese Investitionen den Bedarf nicht decken können, ist den Verantwortlichen dennoch klar. So hat die Stadt für sozial Schwache ein Modell entwickelt. Das besagt vereinfacht: Die Kommune schreibt ein ihr gehörendes Grundstück aus. Der ausgewählte Investor übernimmt das Areal in Erbpacht und baut das Haus. Die Stadt mietet anschließend das Gebäude für mindestens fünf Jahre und tritt als Vermieter für Bürger auf, die einen Wohnberechtigungsschein haben. Im Gegenzug überlässt sie dem Investor den Erbpachtzins – und zwar so lange, wie das Gebäude nach den Sozialkriterien vermietet wird.
Einmal hat dieses Modell bereits geklappt. Ein weiteres ist in Planung. Dass dennoch weiter diskutiert wird, steht indes außer Frage. Denn Wangen ist das Exempel einer kleinen Stadt für die wohnungspolitische Debatte im Großen.