Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Versöhnung auf dem Schlachtfeld von einst
Auf dem Schlachtfeld des Hartmannsweilerkopfes treffen sich Macron und Steinmeier zur Einweihung einer bi-nationalen Gedenkstätte
Es ist das erste gemeinsame Museum der einstigen Erbfeinde zum Ersten Weltkrieg: Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier weihen heute am Hartmannsweilerkopf im Elsass (Foto: Roland Rasemann) ein neues Erinnerungszentrum ein. Auf dem 956 Meter hohen Gipfel in den Vogesen lieferten sich Truppen beider Länder im Ersten Weltkrieg von 1914 bis 1918 erbitterte Kämpfe. Nach Schätzungen gab es damals rund 30 000 Opfer auf beiden Seiten.
COLMAR - Eisiger Wind fegt weitere Blätter von den Bäumen. Sie fallen auf verrostete Stacheldrahtreste oder landen in einem alten Schützengraben. Er führt zu einem verwitterten Felsenbunker am steilen Nordhang des 957 Meter hohen Hartmannsweilerkopfes. Auch sonst ist die Szenerie trostlos. Jetzt im November aber umso mehr, weil auch die Natur ihre Farben verliert und sich bei dem frostigen Wetter nur wenige Menschen durch das historische Kampfgebiet mühen. Einsamkeit herrscht. Hätte man einen Bezug zum Übersinnlichen, läge nahe, dass der Wind nicht nur Nebelfetzen vor sich hertreibt, sondern auch die Seelen der Gefallenen. Rund 30 000 Soldaten starben, als hier in den oberelsässischen Vogesen während des Ersten Weltkriegs von 1914 bis 1918 Deutsche und Franzosen um einige Hektar Boden rangen. Ein Schlachtfeld im wahrsten Sinne des Wortes.
Dass es hier oben nach so langer Zeit etwas Neues geben könnte, war bis vor wenigen Jahren schwer vorstellbar. Aber nun hat es dort eine bisher einzigartige Entwicklung gegeben: eine Abänderung des örtlichen Schlachtfeldgedenkens. Die Franzosen machen den Hartmannsweilerkopf dezidiert zum Erinnerungsort für beide Nationen. Auf ihrem Boden ist dies eine neue Entwicklung. Die Zeit hat dafür reifen müssen. Wobei sich dies schon immer angeboten hätte, denn der Horror war für die Soldaten beider Nationen vor hundert Jahren gleich.
Die Deutschen nannten den so hart umkämpften Hartmannsweilerkopf „Menschenfresser“, die Franzosen sprachen vom „Todesberg“. Als das Reich das Elsass mit dem Kriegsende verlor, gehörte er Letzteren ganz. Vergessen wurden die Ereignisse zwar nie – zumal die Franzosen 1932 ein pathetisches Nationaldenkmal auf dem Schlachtfeld errichteten. Sie hatten damit einen Erinnerungsort, an den sich ein französischer Soldatenfriedhof anschließt. Aber der deutschen Seite fehlte so etwas. Ihre Gräber waren nach 1918 ins Oberrheintal verlegt worden.
Gerade Besucher aus dem Württembergischen bemängelten diese Gedenk-Lücke immer wieder. Aus ihrer Heimat hatten viele Regimenter hier oben gekämpft. Es existiert sogar noch ein großer Bunkerbereich mit dem Namen „Schwabenheim“. Und als beispielsweise die „Schwäbische Zeitung“vor drei Jahren eine Leserexkursion zum Hartmannsweilerkopf veranstaltete, berichteten alt gewordene Mitfahrer: „Mein Vater war im Krieg dagewesen.“Oder auch: „Opa hat immer mal wieder von den schlimmen Kämpfen erzählt.“Alles institutionelle Gedenken vor Ort richtete sich jedoch an Franzosen. Inschriften oder Hinweise waren meist ausschließlich in ihrer Sprache abgefasst.
Inzwischen gibt es hier aber jene erwähnte, fast schon aufsehenerregende Gedenk-Wendung. Diesen Freitag findet sie eine erneute Krönung. Dies ist auch der Grund, weshalb Jean Klinkert die vergangenen Tage immer wieder sorgenvoll in den Himmel über den Vogesen geschaut hat. Er ist der Präsident des französischen Komitees für das Nationaldenkmal Hartmannsweilerkopf. „Schnee wäre nicht gut, Regen ebenso wenig“, betont der Elsässer aus der nahen Stadt Colmar.
Gelungenes Konzept
Schlechtes Wetter könnte das anvisierte große Ereignis versauen. Immerhin sind höchste Gäste am Hartmannsweilerkopf angesagt: die Präsidenten von Frankreich und Deutschland, Emmanuel Macron und Frank-Walter Steinmeier. Einen Tag vor der jährlich wiederkehrenden französischen Feier zum Ende des Ersten Weltkriegs wollen sie die Neukonzeption würdigen.
Konkret werden die beiden Staatsoberhäupter eine Art Museum einweihen, ein Gebäude, das dem Blatt eines Baumes nachempfunden ist. Historial wird es genannt. „Wir wollten keine übliche Schau mit vielen Waffen, Kriegsausrüstung oder Uniformen haben“, sagt Florian Hensel, der vor Ort zuständige Ausstellungsmacher, auch ein Elsässer aus der Nachbarschaft. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern sei eine spezielle Konzeption erarbeitet worden. Stark beteiligt war dabei auch Gerd Krumreich, emeritierter Professor für Neuere Geschichte an der Uni Düsseldorf. Die Expertenrunde einigte sich auf eine erklärende Ausstellung. Der Alltag der Soldaten sollte im Mittelpunkt stehen, ihr Leben, Leiden und Sterben. Dies wiederum musste in den geschichtlichen Kontext gestellt werden.
Die Konzeption ist geglückt. Kein Pathos, keine Schuldzuweisungen, nur nüchterne Darstellungen – oder anders: erschütternde Darstellungen. Schon allein die Tatsache, dass der Hartmannsweilerkopf zum verbissen umkämpften Schlachtfeld wurde, ist im Rückblick schwer verständlich. Jahrhundertelang war die Kuppe ein unscheinbarer, bewaldeter Vogesenausläufer gewesen. Von Waldbauern abgesehen hatte sich niemand dafür interessiert. Dann begann aber der Erste Weltkrieg.
Seinerzeit verlief die Reichsgrenze auf dem Vogesenkamm. Gleich in den ersten Kriegstagen griffen die Franzosen das südliche Elsass an. Sie wollten in die Oberrheinebene vorstoßen. Deutscherseits war die Region von untergeordnetem Interesse – ein typischer Nebenkriegsschauplatz. Das Reich suchte die Entscheidung in Nordfrankreich. Dort tobten dann auch die richtig großen Schlachten, etwa jene bei Verdun. Im Südelsass blockten deutsche Truppen letztlich nur den Gegner ab.
Was nun den Hartmannsweilerkopf angeht, wäre er für die französische Artillerie ein guter Platz für das Beschießen der Oberrheinebene gewesen. Deshalb verschanzten sich die Deutschen im Bereich der Kuppe. Angriffe wechselten sich mit Gegenangriffen ab. Raumgewinn: grob beschrieben mal hundert Meter in die eine Richtung, dann wieder 200 Meter in die andere Richtung. Zuletzt stabilisierte sich die Front am Gipfel. Wie noch heute zu sehen ist, trennten die vordersten Gräben von Deutschen und Franzosen gerade mal ein Dutzend Meter. Selten gibt es einen Ort, an dem der Wahnsinn des damaligen Stellungskrieges auf so kleinem Raum begreifbar wird.
Jährlich 250 000 Besucher
„Was muss dies für ein Elend bei den Soldaten gewesen sein?“, stellt eine französische Besucherin im Historial die rhetorische Frage. Seit es Anfang August eröffnet wurde, seien bereits 17 000 Gäste gekommen, heißt es an der Kasse. Insgesamt, so wird geschätzt, fanden sich in jüngerer Vergangenheit pro Jahr eine viertel Million Menschen auf dem Hartmannsweilerkopf ein. Rund 60 Prozent seien Deutsche gewesen.
Exakt lässt sich diese Besucherzahl nicht beziffern. Wer kein Eintrittsbillett für das französische Nationaldenkmal kaufte, marschierte unregistriert weiter zum Schlachtfeld. Dort hat sich übrigens einiges geändert. 40 Infotafeln zum Kampfgeschehen wurden aufgestellt – gehalten in Französisch, Deutsch und Englisch. Gleichzeitig erfolgte eine Absicherung der bröckelnden Gräben und Bunker. Speziell auf der deutschen Frontseite hatten Abenteuerlustige noch bis vor Kurzem einen besonderen Kick darin gefunden, dunkle, gefährliche weil einsturzgefährdete Löcher zu erkunden. Dort waren zahllose unterirdische Stellungen angelegt worden. Jetzt versperren meist Gitterstäbe den Zugang.
Mit der Neukonzeption war vor gut drei Jahren begonnen worden. Als Signal für eine Neugestaltung des Hartmannsweilerkopfes hatte es damals bereits ein höchstrangiges Treffen bei der Kuppe gegeben. Zum Gedenken an den Ausbruch des Ersten Weltkrieges waren die damaligen Präsidenten beider Nationen angereist: François Hollande und Joachim Gauck. Wobei die Vorstellungen, auf dem Schlachtfeld etwas zu ändern, bereits ins Jahr 2008 zurückgehen. Der Anstoß kam von französischer Seite, vom Komitee für das Nationaldenkmal Hartmannsweilerkopf. Ihm ging es darum, den Besuch attraktiver zu machen – zum einen als Gedenkort, aber auch als Ausflugsort für Touristen. Nur es fehlte das Geld.
Um Fördermittel der EU zu erschließen, benötigten die Franzosen in diesem Fall einen deutschen Partner. Sie fanden ihn im Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Martin Lunitz, Geschäftsführer des baden-württembergischen Landesverbands, sagt: „Wir haben aber gleich darauf bestanden, dass aus dem Hartmannsweilerkopf dann ein gleichberechtigter Gedenkort werden müsse.“Wobei sich der Volksbund satzungsgemäß nur an der Sanierung eines Art Beinhauses im Bereich des bestehenden französischen Denkmals beteiligen durfte. 325 000 Euro stellte er zur Verfügung. 150 000 Euro schoss indes das Auswärtige Amt für die Multimedia-Einrichtung im Historial zu.
Kostenpunkt 6,5 Millionen Euro
Wobei das Gesamtprojekt rund 6,5 Millionen Euro kostete. Knapp die Hälfte davon sind EU-Mittel. Letztlich zahlten die Franzosen aber den Löwenanteil. Daran werden die Deutschen übrigens immer mal wieder durch die Blume erinnert. Es folgt dann gerne die vorsichtige Frage, ob sich nicht doch noch irgendwo eine bundesrepublikanische Geldquelle erschließen lasse.
Indes darf die deutsche Seite mit Wohlwollen verzeichnen, dass sich die Franzosen nicht nur beim Gedenken im Historial oder auf dem Schlachtfeld bewegt haben, sondern selbst bei der Gestaltung ihres alten Nationaldenkmals. Darin wird auf Tafeln nun auch der Deutschen gedacht. Vor dem Denkmal ist die Wende an den Flaggen sichtbar. Einträchtig weht das französische, das europäische und das deutsche Tuch in den Böen des kalten Vogesenwindes.