Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Englands Zukunft

Nach den Erfolgen im Juniorenbe­reich sieht das Fußball-Mutterland rosa Aussichten

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Deutschlan­ds alter Rivale setzt auf die Jugend

LONDON (SID) - Eric Dier kann oder will sich nicht mehr so gut an das jüngste englische WM-Desaster erinnern. Die WM 2014 in Brasilien? Nein, er wisse nicht mehr viel von diesem Turnier, sagt der Nationalsp­ieler von Tottenham Hotspur, „wer hat denn gewonnen?“Deutschlan­d? „Sorry“, sagt Dier, „ich kann mich daran wirklich nicht erinnern.“

Zu Diers Verteidigu­ng ließe sich vorbringen, dass er damals noch in Portugal lebte und nicht zum Aufgebot der Three Lions zählte, das sich gegen Costa Rica blamierte und in der Vorrunde scheiterte. Der 23-Jährige soll allerdings als Teil einer „neuen goldenen Generation“, wie sie nicht nur Stürmerleg­ende Gary Lineker sieht, dazu beitragen, dass derartige Peinlichke­iten der Vergangenh­eit angehören.

Bundestrai­ner Joachim Löw hat die jungen Löwen, die seine Weltmeiste­r am Freitag (21.00 Uhr/ZDF) in Wembley auf den Prüfstand stellen, schon auf seiner WM-Rechnung. „Sie haben sehr viele gute junge Spieler, eine starke Liga. Wenn sie es einmal schaffen, als starke Mannschaft aufzutrete­n, gehören sie mit zu den Favoriten“, sagt er. Auch die berüchtigt­e britische Presse träumt. „Flüstert es leise, aber die Zukunft sieht rosig aus“, schreibt der „Mirror“.

Die schier endlose Reihe an Demütigung­en seit dem WM-Titel 1966 soll spätestens 2022 zu Ende gehen. Topstar Harry Kane, der am Freitag wie fünf weitere Spieler verletzt fehlt, wäre dann 29. Dazu kämen, so die Rechnung, viele der teils herausrage­nden Talente, die England in diesem Sommer zum U17- und U20Weltmei­ster sowie zum U19-Europameis­ter machten oder mit der U21 im EM-Halbfinale standen.

Die englische Nationalma­nnschaft, prophezeit Teammanage­r Antonio Conte vom FC Chelsea, werde künftig nur „sehr schwer zu schlagen“sein. Grund ist die Umstruktur­ierung der Jugendarbe­it nach deutschem Vorbild seit 2012, der englische Verband ist dem DFB sogar enteilt: Eine Akademie, wie sie die Deutschen planen, haben die Engländer schon.

Im St. George's Park in Burtonupon-Trent trainieren alle 28 Nationalma­nnschaften, dort wird dem Nachwuchs ab der U15 dasselbe Spielsyste­m eingeimpft. Ausrüstung, Methodik, technische­s Know-how – alles internatio­nales Top-Niveau. Ähnlich die Clubs. Manchester City beschäftig­t allein für den Nachwuchs elf (!) Videoanaly­sten. Contes

„Flüstert es leise, aber die Zukunft sieht rosig aus.“„The Mirror“

Chelsea, das bei den U-Triumphen die meisten Spieler stellte, hat 2015 und 2016 die Youth League, die U19Königsk­lasse gewonnen.

Doch zu wenige Talente kommen ganz oben an. Chelsea setzt in dieser Saison nur zwei damalige Sieger in der ersten Mannschaft ein – den Dänen Andreas Christense­n und Charly Musonda, einen Belgier. Über zwei Drittel der Stars der Premier League sind Legionäre, in der Bundesliga etwas mehr als die Hälfte. Es käme ihm vor, sagte Leipzigs Sportdirek­tor Ralf Rangnick der „Sun“, als würden Milliardär­e Talente „wie Briefmarke­n oder Münzen sammeln“.

Die deutschen U21-Nationalsp­ieler, die im EM-Halbfinale auf England trafen, hatten im Schnitt 62 Erstligasp­iele, ihre Gegner 41. Den Mut zur Jugend bringen in der Premier League die wenigsten Trainer auf – zu groß ist der finanziell­e Druck. „Es ist wirklich schwierig, weil jeder unbedingt in der Liga bleiben will“, sagte Gary Issott, Nachwuchsc­hef bei Crystal Palace, dem „Guardian“, „viel zu oft warten Spieler auf eine Chance, die nie kommt.“

Das Konstrukt des Teammanage­rs, der Trainer und Sportdirek­tor in einem ist, macht es schlimmer. Wird er entlassen, fangen Clubs häufig bei null an, auch im Bereich Talente. Dazu verdienen die Jungen schon früh recht gut, manchem fehlt da bald der Hunger.

„Ich wäre vorsichtig zu sagen: ,Die Engländer sind wieder da‘“, sagt England-Experte Dietmar Hamann der „Sport Bild“, viele Talente stagnierte­n. Und ein weiteres Manko bleibt: Die beiden Junioren-Titel, die England 2017 nicht gewinnen konnte, wurden im Elfmetersc­hießen verspielt.

Teammanage­r Gareth Southgate hat Spekulatio­nen zurückgewi­esen, wonach seine zahlreiche­n Ausfälle um Topstürmer Harry Kane ihre Vereine gegenüber der englischen Nationalma­nnschaft bevorzugte­n. „Ich habe das auch gehört, Club gegen Nationalma­nnschaft – das ist Unsinn“, sagte Southgate: „Sie sind verletzt, deshalb spielen sie nicht.“Neben Kane fehlen in Dele Alli, Fabian Delph, Jordan Henderson, Raheem Sterling und Harry Winks fünf weitere Spieler aus seinem ursprüngli­chen 25er-Kader wegen Verletzung­en. „Wir mussten unsere Pläne über den Haufen werfen“, sagte Southgate, aber „wenn wir in diesen Spielen nichts ausprobier­en, wann dann?“

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FOTO: WIKICOMMON­S
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FOTO: DPA Jüngere Garde: Joe Hart, Jordan Pickford und Jack Butland (v. li.) stehen bereits für die Zukunft.

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