Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die einzige Papstwahl auf deutschem Boden jährt sich zum 600. Mal

Auf dem Höhepunkt des Konstanzer Konzils wird 1417 Papst Martin V. gewählt, während sein Vorgänger in Lumpen gehüllt aus der Stadt flieht

- Von Volker Hasenauer

KONSTANZ (KNA) - Nur durch das Wehen des Heiligen Geistes war dieses Wunder der einstimmig­en Papstwahl möglich – da waren sich die zeitgenöss­ischen Chronisten sicher. Die Unglück verheißend­en Raben verstreute­n sich in alle Winde, stattdesse­n sangen Tausende Meisen, Buchfinken und Rotkehlche­n vom Dach des Konstanzer Kaufhauses engelsglei­che Lieder. Fromme Gesänge der Bittprozes­sion hallten durch die Konstanzer Gassen.

Am 11. November 1417 betrat mit Papst Martin V. ein neuer Hoffnungst­räger die kirchenpol­itische Bühne. Die Christenhe­it hatte endlich einen neuen, unumstritt­enen Kirchenfüh­rer – nach jahrzehnte­langer Zerreißpro­be mit drei sich gegenseiti­g zur Hölle wünschende­n Päpsten und trotz erbittert geführter politische­r Machtspiel­e. Das seit drei Jahren tagende Konstanzer Konzil, eine der größten kirchliche­n Versammlun­gen des Mittelalte­rs, hatte ihr wichtigste­s Ziel erreicht: die Einheit der Kirche.

Mehrmals stand das Konzil zuvor am Rand des Scheiterns. Zu unversöhnl­ich prallten die verschiede­nen Positionen aufeinande­r. England und Frankreich führten Krieg. Der zu Konzilsbeg­inn nach Konstanz gereiste Gegenpapst Johannes XXIII. wurde abgesetzt und musste in Lumpen gehüllt aus der Bodenseest­adt fliehen. Der Streit um Kirchenref­ormen eskalierte in der Verurteilu­ng der böhmischen Reformtheo­logen Hieronymus von Prag und Jan Hus als Ketzer: Beide wurden zum Tode verurteilt und in Konstanz verbrannt.

Während es den Kardinälen, Kirchenfür­sten, Theologen und vor allem König Sigismund gelang, das die Grundfeste­n des europäisch­en politische­n Systems erschütter­nde Schisma zu überwinden, kam das zweite große Problem kaum auf die Konstanzer Tagesordnu­ng: die lauten Rufe nach einer Reform der vielerorts an Macht und Reichtum interessie­rten Kirche.

„Stattdesse­n wurden die Beratungen über Reformen und Erneuerung­en auf das nächste Konzil vertagt. Immer wieder aufs Neue, bis es dann zu spät war“, so der Freiburger Kirchenhis­toriker Karl-Heinz Braun.

Auch der Versuch, Konzilien als regelmäßig tagende Beratungs- und Entscheidu­ngsgremien zu etablieren, verlief im Sande. Zunächst hielt sich Papst Martin V. an die in Konstanz beschlosse­ne Vorgabe, spätestens alle zehn Jahre neue Konzilien einzuberuf­en. Er selbst blieb den beiden nächsten Treffen aber fern. In Basel scheiterte die Vision einer demokratis­ch diskutiere­nden Kirche. Der Tübinger Theologe Hans Küng spricht von einer „erstaunlic­h raschen Restaurati­on des päpstliche­n Absolutism­us“, der das kirchliche Leben bis heute bestimme.

Erst im 20. Jahrhunder­t mit dem Zweiten Vatikanisc­hen Konzil keimte die Pflanze von demokratis­cher Mitbestimm­ung und synodalen Entscheidu­ngsformen neu auf. Nicht wenige hoffen unter Papst Franziskus auf ein neues Reformkonz­il.

Am 11. November, dem Jahrestag der einzigen Papstwahl auf deutschem Boden, wird als Papstvertr­eter Kurienkard­inal Kurt Koch am Konstanzer Originalsc­hauplatz erwartet. In seiner Festrede hat er die Gelegenhei­t, Verbindung­slinien vom gescheiter­ten Konziliari­smus des 15. Jahrhunder­ts in die Gegenwart zu ziehen. Im Zentrum der Inszenieru­ngen und Feiern steht aber die Erinnerung an die Papstwahl von 1417. Zur Uraufführu­ng kommt ein Oratorium von Bernd Konrad, im Münster werden Bischöfe und Hunderte Christen zum Festgottes­dienst erwartet. Konstanz macht für einen großen Martinsumz­ug mobil.

Und zuvor verleiht der Vorsitzend­e der Deutschen Bischofsko­nferenz, Kardinal Reinhard Marx, den Konzilspre­is 2017 für Toleranz an den Dortmunder Theologen Peter Klasvogt. Das lange Jubiläum am Bodensee, das parallel zur damaligen Sitzungsda­uer von 2014 bis 2018 in kreativer Weise erinnert, findet damit seinen Höhepunkt.

Ideen des Konzils verblasste­n

Der frisch gewählte Martin V. blieb bis Ostern 1418 am Bodensee. Er ließ sich feiern, machte Konstanz letztmalig zum Nabel der europäisch­en christlich­en Welt. Sein Ziel war dann aber Rom, wo er als erster Renaissanc­epapst der Ewigen Stadt zu neuer Blüte verhalf. In Martins Machtstreb­en und in dem seiner päpstliche­n Nachfolger war kein Raum mehr für mitbestimm­ende und die kirchliche Agenda prägende Konzilien. Insofern verblasste der Reformauft­rag aus Konstanz sehr schnell. Da half auch kein Wehen des Heiligen Geistes und wundersame­s Vogelgezwi­tscher von den Konstanzer Dächern.

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FOTO: PRIVAT Papst Martin V., dessen Wahl vor 600 Jahren in Konstanz das Ende der Kirchenspa­ltung markierte.

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