Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wandern über den Wolken

Für die Kanarenins­el La Palma gilt die Faustregel: je höher der Aufstieg, desto besser das Wetter

- Von Ulrich Mendelin

Die Anfahrt zur Wanderung ist wenig vielverspr­echend. Dichter Nebel hängt zwischen den Pinien, an der Ostküste oberhalb von Santa Cruz setzt sogar Nieselrege­n ein. Aber wer zum Wandern eigens nach La Palma kommt, lässt sich von solchen Widrigkeit­en nicht abschrecke­n. Also folgen wir mit dem Mietwagen der Landstraße LP4, die sich höher und immer höher zum Kraterrand hinaufwind­et, parken am Einstieg zum Wanderweg und stapfen los durch den Nebelwald, der Sonne entgegen.

Und es lohnt sich, wie so oft auf dieser nordwestli­chsten der Kanarische­n Inseln, wo die Wettervorh­ersage nicht selten trügt, und der Blick vom Tal hinauf in die Berge sowieso. Kurz nachdem wir auf den Wanderweg mit dem Wegweiser zum Pico de la Nieve, dem Schneegipf­el, einbiegen, bricht strahlende Sonne durch die Wolkendeck­e. Wir steigen dem Kraterrand entgegen, zu dem der Pico de la Nieve gehört, und die Wolken bleiben unter uns, im Küstengebi­et, während wir die Wärme genießen und später auch den klaren Blick über den Atlantisch­en Ozean, hinüber nach Teneriffa, wo sich der dominieren­de Pico del Teide, Spaniens höchster Berg, ebenfalls über die Wolken erhebt.

Wenig Strände, viele Wanderwege

Nach dem Teide ist der Kraterrand des Vulkans von La Palma, die Caldera de Taburiente, die zweithöchs­te Erhebung der Kanaren. Im Roque de los Muchachos erreicht sie mit 2426 Metern ihren höchsten Punkt. Anders als drüben auf Teneriffa gibt es auf La Palma nur wenige Strände, das hat der Insel den Massentour­ismus erspart. Für Wanderer ist La Palma aber ein lohnendes Ziel, und die meisten Touren führen in, auf oder über den alles beherrsche­nden Vulkankrat­er der Caldera de Taburiente.

Oben auf dem Kraterrand angekommen, fällt der Blick tief hinab ins Innere, wo Wolkenfetz­en über nadelbaumb­estandenen Steilhänge­n schweben. Auch dort unten lässt es sich gut wandern – der Eindruck der Bergszener­ie ist dann wieder ein ganz anderer. Wir lassen uns nieder für ein Picknick und ein Sonnenbad, der Nieselrege­n unten an der Küste ist jetzt erst einmal ganz weit weg. Später führt der Wanderweg immer am Kraterrand entlang bis an die Passstraße, die die Inselhaupt­stadt Santa Cruz im Osten und die größte Stadt im Westen, die Bananenpfl­anzer-Siedlung Los Llanos de Aridane, miteinande­r verbindet – es ist eine komplette Tageswande­rung.

Eindrucksv­olle Vulkanrout­e

Wer es extremer mag, kann auch den ganzen Kraterrand in einem Rutsch entlanglau­fen. Der Wanderweg geht dann über in die ebenfalls eindrucksv­olle Ruta de los Volcanos im Süden der Insel. Dies ist ein Wanderweg entlang einer Reihe älterer Vulkane, die sich wie auf einer Perlenschn­ur nach Süden zieht und an der Südspitze der Insel endet. Dort steht der Leuchtturm von Fuencalien­te, wo in Salinen hochwertig­es La-Palma-Salz gewonnen wird, das „Flor de Sal“. Im Ganzen lässt sich die Wanderung, die man auch bequem in Tagesetapp­en vom Standquart­ier aus in Angriff nehmen kann, aber nur in mindestens zwei Etappen meistern. Da es keine Hütten gibt, erfordert diese Variante eine Übernachtu­ng im dicken Polarschla­fsack unter dem kanarische­n Sternenhim­mel.

Der ist ziemlich eindrucksv­oll: Neben dem Vulkanismu­s ist die Astronomie das zweite große Thema auf der Insel. Am Roque de los Muchachos fallen mehrere kugelförmi­ge Bauwerke auf – das Roque-de-losMuchach­os-Observator­ium ist eine der wichtigste­n Anlagen dieser Art weltweit, es wird von wissenscha­ftlichen Institutio­nen mehrerer Staaten gemeinsam betrieben. 2009 wurde hier das Gran Telescopio Canarias in Betrieb genommen, mit einem Durchmesse­r von 10,4 Metern das größte Spiegeltel­eskop der Welt. Damit suchen Wissenscha­ftler den Himmel über La Palma aus nach neuen Universen und schwarzen Löchern ab. Dass die Forscher hierhergek­ommen sind, hat seinen Grund: Die Luft ist in den Gipfelhöhe­n von La Palma besonders klar, wolkenverh­angene Nächte sehr selten. Im Observator­ium sind Führungen möglich – selbst für Nicht-Wanderer, denn auf den Roque de los Muchachos führt neben Wanderwege­n auch eine Autostraße hinauf.

In den unteren Stockwerke­n der Insel La Palma lässt sich der Urlaub aber auch deutlich gemächlich­er angehen. Lohnend ist zum Beispiel ein Ausflug in den wenig besiedelte­n Norden der Insel. Bei dem Dörfchen Las Tricias kann man unter anderem einen Spaziergan­g zwischen urwüchsige­n Drachenbäu­men unternehme­n, die es fast nur noch auf den Kanarische­n Inseln gibt. Zur Abkühlung bietet sich dann anschließe­nd ein Bad im Atlantik an – denn wenngleich das Strandlebe­n nicht mit dem auf den anderen Kanarische­n Inseln mithalten kann: Für einen schnellen Sprung in den Ozean, oder auch mal einen faulen Strandtag, reicht die Auswahl an Stränden auf La Palma allemal.

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FOTOS: MENDELIN Heiße Sache: eine Wanderung auf der Ruta de los Volcanes.
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Vom Kraterrand der Caldera de Taburiente reicht der Blick hinüber zum höchsten Gipfel La Palmas, zum Roque de los Muchachos.
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Besonderes Erlebnis: Spaziergan­g unter urwüchsige­n Drachenbäu­men.

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