Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Streicheleinheiten für das Gehirn
Zeppelin-Museum setzt Akzente mit der Ausstellung „Schöne neue Welten“– Besucher werden zu Akteuren
FRIEDRICHSHAFEN - Das ZeppelinMuseum setzt mit der neuen Ausstellung einen Meilenstein, betritt Neuland in der Kunst und gibt schon mal vor, wie die Arbeit in dem ZweiSparten-Museum mit den Bereichen Technik und Kunst weitergehen soll. Die Grenzbereiche werden wichtig, wo Kunst auf Technik trifft, sich Technik aneignet und beide zu Symbiosen verschmelzen, dort sieht Museums-Chefin Dr. Claudia Emmert die Zukunft der Arbeit.
Es geht um virtuelle Realität, um Räume und Bilderwelten, die, am Computer erschaffen, Betätigungs-, Erfahrungs- und Aktionsfeld für die Betrachter werden. Mit Spezialbrillen werden diese Welten wahrgenommen, mit ihnen begeben sich die Besucher der Ausstellung in die Kunst hinein. Und die ist vielfältig, reizt zu Aktionen und der Mitwirkung der Besucher.
Dabei geht es vordergründig um die Frage der Wahrnehmung, des Verschmelzens der virtuellen mit der vorhandenen Realität. Ohne sich Gedanken darüber und die Folgen dieser technologischen Entwicklung in der Kunst zu machen, bleibt die Ausstellung jedoch nur Show der Möglichkeiten. Sie kann aber viel mehr. Sie zeigt, wie die virtuelle Realität zum Werkzeug für moderne Kriegsführung wird, und lässt dabei die Maschinen eines Leonardo da Vinci in Gedanken aufblitzen.
Am Computer bilden forensische Architekten ein syrisches Foltergefängnis nur anhand von Erinnerungen von Überlebenden nach. Florian Meisenberg entführt in eine virtuelle Welt, in der die Betrachter eine Skulptur mit verschiedenen Texturen bauen können. Durch einen Knopfdruck in dieser virtuellen Welt wird die Skulptur auf einer Internetseite gespeichert und somit beinahe real. „Mit einem 3-D-Drucker müsste ANZEIGE man diese dann auch drucken können“, sagt Claudia Emmert und würde damit den Kreis zurück in die greifbare Wirklichkeit schließen.
Zukunft oder Ausflug?
Lässt der Ausstellungstitel Assoziationen zu Aldous Huxley und seinem gleichnamigen, dystopischen Roman zu, wird innerhalb der Ausstellung die „Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie“und damit die alte Frage von Neil Postman wieder gestellt. Das Fernsehen hat es nach Postman erstmals geschafft, die gesellschaftlichen, politischen und künstlerischen Lebensbereiche zu durchdringen. Diese Entwicklung setzt sich mit dem Computer ungleich schneller fort. Insofern stellt die Frage eingangs der Eröffnungsschrift dieser Ausstellung der hier versammelten Repräsentanten einer „schönen neuen Welt“einen zentralen Kern dar: „Steckt in der virtuellen Realität die Zukunft, gleicht der technologische Wandel einer Revolution in der Kunst?“
Die Künstler greifen mit ihren Darstellungsformen nicht nur die virtuelle Realität an sich auf, sondern thematisieren mittels dieser Technik Rassismus, Flüchtlingsprobleme, Pornografie, Genderfragen, Identitätskrisen und Wahrnehmungsprobleme. Wer hier Kunst sucht, steht mittendrin.
Die Besucher können diese Ausstellung nur erleben und mit all ihren faszinierenden Aspekten erfahren, wenn sie sich den Arbeiten ergeben, die Brillen aufsetzen und den neuen Schritt des Zeppelin-Museums mitgehen. Die Grenzen zwischen Technik und Kunst verschwimmen hier, Forensische Architekten bilden am Computer nur nach Berichten von Überlebenden ein syrisches Foltergefängnis nach. wie zuvor noch nie. Die Eingangsfrage, die das Museum stellt, muss am Ende jeder Besucher sebst beantworten. Ob die virtuellen Realitäten von der Kunst jedoch nur abgebildet werden oder mit und zu ihnen auch eine kritische Haltung gebildet wird oder die Kunst Anlass zu weiteren Reflexionen bietet, liegt auf der Hand. Das Zeppelin-Museum zeigt hier eine Ausstellung, die „reflexiv ist und die gesellschaftliche und politische Wirklichkeit im Virtuellen spiegelt“, sagt Ina Neddermeyer, Kuratorin der Ausstellung.