Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Grace-FO-Satelliten schauen durch die Oberfläche
NASA-Projektleiter: Fantastische Technik von Airbus – Wasserhaushalt der Erde ist aus dem All messbar
OTTOBRUNN/IMMENSTAAD - Zwei bei Airbus in Immenstaad gebaute Satelliten, die in den kommenden fünf Jahren die Vermessung des Schwerefeldes der Erde fortsetzen sollen, sind am Freitag bei der IABG in Ottobrunn bei München letztmals auf deutschem Boden vorgestellt worden. Mehr als ein Jahr wurden sie auf ihre Weltraumtauglichkeit getestet. Jetzt sind die beiden Grace-FO (Gravity Recovery and Climate Experiment Follow-On) flugbereit. Mitte Dezember werden sie zu ihrem Startplatz auf dem kalifornischen Luftwaffenstützpunkt Vandenberg transportiert und sollen im März 2018 mit einer Falcon-Rakete des USUnternehmens SpaceX starten.
Entwickelt wurden die Zwillinge im Auftrag des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der amerikanischen Weltraumorganisation NASA und des deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam. Für Airbus ist es die zweite Garnitur von GraceSatelliten, wie der Direktor für Erdbeobachtung, Eckard Settelmeyer, gestern in Ottobrunn sagte. Das im wesentlichen baugleiche erste Satelliten-Duo ging am 17. März 2002 an den Start und hat seine auf fünf Jahre angesetzte Lebensdauer um das Dreifache übertroffen. Der erste Grace ist mittlerweile außer Betrieb und wird in den nächsten Tagen in der Erdatmosphäre verglühen. Sein Bruder ereilt demnächst das gleiche Schicksal.
Rund 100 Millionen Euro beträgt der Anteil von Airbus
Die Daten, die Grace lieferte, sind für die Wissenschaftler so interessant und im Hinblick auf die Veränderung des Klimas auf der Erde derart aufschlussreich, dass eine Fortsetzung der Mission sowohl von amerikanischer wie auch von deutscher Seite durchgesetzt wurde. Nicht ohne politische Hürden, wie in Ottobrunn zu hören war. Rund 100 Millionen Euro betrug der Anteil von Airbus, wie Grace-FO-Projektleiter Peter Gath sagte. Die Amerikaner stellen für die Mission ein Budget von zirka 400 Millionen Dollar zur Verfügung.
„Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar“, zitierte Settelmeyer den französischen Schriftsteller Antoine de Saint Exupery. „Das Graviationsfeld der Erde sieht man nicht, aber man kann es messen und viel daraus schließen.“Global gehe das aber nur vom Weltraum aus, und weil sich die Anziehungskraft ständig verändert, reiche nicht ein einziger Datensatz, sondern man müsse kontinuierlich und über einen längeren Zeitraum messen. Die Technik, mit der das möglich ist, basiert auf GPS, hoch empfindlichen Instrumenten, viel wissenschaftlichem Know-How und gestaltet sich recht diffizil, wie Frank Flechtner vom GFZ erläuterte.
Um die Dynamik des Schwerfeldes zu erfassen, fliegen die beiden Grace-Satelliten im Abstand von 220 Kilometer hintereinander her. Diese Distanz wird mit Mikrowellen beziehungsweise auf Grace-FO mit einem neuen Laser Interferometer ständig gemessen - und zwar auf tausendstel Millimeter genau. Abweichungen, die durch Einwirkung des Schwerefeldes der Erde zustande kommen, können so registriert werden. Sie sind für die Wissenschaftler Indizien dafür, was sich auf der Erdoberfläche, vor allem aber unter der Erdoberfläche verändert. Und das ist, bezogen allein auf die vergangenen 15 Jahre, eine ganze Menge, wie der Geowissenschaftler sagte.
So konnte man bisher in 156 Karten zum Beispiel den Wasserhaushalt der Erde dynamisch darstellen und ebenso Erstaunliches wie Erschreckendes zu Tage fördern. 3748 Gigatonnen Eis seien allein in Grönland in dieser Zeit abgeschmolzen, und zwar habe sich der Prozess ständig beschleunigt. Wenn man sich vorstelle, dass eine Gigatonne ein Würfel mit einer Kantenlänge von je einem Kilometer umfasse, seien das gigantische Mengen. Die Dürre in Kalifornien habe wesentlich mit dem Verschwinden von Grundwasser zu tun, und als der Meeresspiegel in den Jahren 2010/2011 sank, stellten die Wissenschaftler an Hand von Grace-Daten fest, das sich unter Australiens Warburton große Mengen Wasser ansammelten. Viele Prozesse im Klimageschehen unseres Planeten seien von Wassermassen und deren großräumiger Umverteilung abhängig, sagte Flechtner. Und weil sich das Tag für Tag verändert, seien kontinuierliche Daten wichtig, um ein besseres Verständnis für die Zusammenhänge zu bekommen.
Die beiden ersten Grace-Satelliten legten zusammen vier Milliarden Kilometer zurück und lieferten alle 30 Tage ein neues Modell des Schwerefeldes der Erde. Die Daten werden von deutschen und amerikanischen Wissenschaftlern ausgewertet und haben nach Angaben des GFZ-Projektleiters in 2300 Arbeiten ihren Niederschlag gefunden. Mehr als 20 000 Nutzer würden die Daten verwenden. Von der Nachfolgemission erhoffen sich die Forscher weitere und genauere Erkenntnisse über die Bewegung des Wassers sowie der Eis- und Landmassen. Außerdem erstellt jeder der beiden Satelliten täglich bis zu 200 Profile der Temperaturverteilung und des Wasserdampfgehalts in der Atmosphäre und der Ionosphäre zur Verbesserung der Wettervorhersage.
Der Beitrag, den Grace und Grace-FO so zur Klimaforschung leisten, sei nicht hoch genug zu schätzen, sagte Jim Graf, wissenschaftlicher Leiter des Projekts bei der NASA. Die Technik, die Airbus dazu liefere, sei fantastisch.