Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Wilder Ritt auf dem Trainerkar­ussell

In den Fußballlig­en der Region gab es in dieser Saison bereits zahlreiche Wechsel

- Von Michael Panzram

RAVENSBURG - In der überhitzte­n Fußball-Bundesliga gehören Rausschmis­se und Rücktritte von Trainern schon längst zur Tagesordnu­ng, in den unteren Ligen sind sie dagegen noch immer eher eine Seltenheit. Doch in der aktuellen Saison scheint es in der Region fast so, als habe der Trend im Oberhaus den Amateurber­eich angesteckt: Allein bei den hiesigen Vereinen, die in der Oberliga, Landesliga und Bezirkslig­a Bodensee spielen, gab es bisher neun Wechsel. Trend oder Zufall? Norbert Badstuber, aktuell beim FV Molperstha­us in der Kreisliga A I Bodensee tätig und Onkel des VfB-Stuttgart-Profis Holger Badstuber, überblickt 22 Jahre aus der Trainersic­ht, und sagt zur aktuellen Situation im regionalen Fußball: „Auch die unteren Ligen haben sich gewandelt.“

FV Ravensburg (Oberliga), FV Ravensburg II, TSV Eschach, SV Weingarten (alle Landesliga), SV Kressbronn, SC Unterzeil-Reichenhof­en, SG Aulendorf, SV Baindt und SV Haisterkir­ch (alle Bezirkslig­a) – sie alle verbindet, dass sie bereits mindestens einen Trainerwec­hsel in der laufenden Saison 2017/2018 hinter sich haben. Darunter waren sehr nachvollzi­ehbare wie die Entlassung von Wolfgang Steinhaus, der mit der SG Aulendorf tief im Tabellenke­ller der Bezirkslig­a steckte. Dazu gehörte aber auch der Rauswurf von Stefan Krause beim SV Kressbronn, der zu diesem Zeitpunkt Fünfter in der Bezirkslig­a war. „Von außen sind längst nicht alle Entscheidu­ngen nachvollzi­ehbar“, sagt Norbert Badstuber.

Rücktritt nach mehreren Jahren oder nach wenigen Spielen

Nicht immer wurden die Trainer entlassen. Wolfram Eitel etwa trat beim FV Ravensburg nach dreieinhal­b Jahren zurück, auch Markus Giuliani verließ den SV Haisterkir­ch von sich aus – bereits nach wenigen Spielen. Eitel machte in einer Situation den Stuhl in Ravensburg frei, als er die Ziele des Teams in der Oberliga in Gefahr sah, nachdem die Jahre zuvor sehr erfolgreic­h verlaufen waren. Ganz anders fiel Giulianis Bilanz in Haisterkir­ch aus. Die Mannschaft fand sich in den wenigen Monaten seiner Amtszeit im Tabellenke­ller der Bezirkslig­a wieder. Öffentlich bekannt wurde, dass die Spieler mit dem Konzept des Trainers nicht einverstan­den waren. Die schlechte Stimmung veranlasst­e Giuliani zum zügigen Rücktritt.

Auch beim Haisterkir­cher Ligakonkur­renten SC Unterzeil-Reichenhof­en musste schon nach wenigen Spieltagen ein neuer Trainer her. Das Eigengewäc­hs Felix Braun übernahm, da Bernd Bräuchler sein Amt nach mehreren Niederlage­n zur Verfügung stellte. Inzwischen unterstütz­t Bräuchler Coach Xaver Krug beim FC Leutkirch II – dieses Team hatte Bräuchler schon selbst hauptveran­twortlich trainiert.

Dass es heute auch im Amateurber­eich schneller als früher zur Trennung komme, macht Badstuber am eigenen Beispiel fest. Ein Engagement wie bei seinem Heimatvere­in Rot an der Rot, den er acht Jahre trainierte, sei inzwischen eine absolute Ausnahme im gesamten Fußballber­eich, sagt der 51-Jährige. Woran es liegt, dass das Engagement bei einem Verein heute kürzer ist? Eventuell gestiegene­r Druck sei dafür eher nicht verantwort­lich, den habe es immer schon gegeben – etwa den Stress durch die Doppelbela­stung von Hauptberuf und Trainerjob.

Ganz sicher über die Jahre gleich geblieben sei auch, dass zwischen Verein und Trainer „die Chemie stimmen“müsse. Wenn dies nicht der Fall sei, sei eine schnelle Trennung am besten. Badstuber selbst bietet sich da beim FV Molpertsha­us als Gegenbeisp­iel an. Nach acht Spielen hatte die Mannschaft in der Kreisliga AI gerade einmal zwei Punkte gesammelt. Nervös machte das keinen in der Führungseb­ene des Vereins. Die Ruhe zahlte sich aus. Zuletzt hat Molpertsha­us zweimal gewonnen. „Es macht viel Spaß hier“, unterstrei­cht Badstuber.

„Dreckiger“Rauswurf beim TSV Eschach

Das lässt sich nach den jüngsten Ereignisse­n nicht vom TSV Eschach behaupten. Dort wurde Trainer Nectad Fetic entlassen und sprach anschließe­nd von einem „dreckigen“Rauswurf. Im Raum stehen Differenze­n mit dem Sportliche­n Leiter des Landesligi­sten. Unzufriede­ne Spieler habe es zwar gegeben, bestätigte Fetic, aber die gebe es in einem größeren Kader immer. Apropos Kader: Norbert Badstuber hat festgestel­lt, dass Spieler in den vergangene­n zwei Jahrzehnte­n immer häufiger längere Zeit fehlen, weil sie auf Reisen gehen oder sich für das Studium im Ausland aufhalten. Dieses geänderte Verhalten zu früher, als die Vereinstre­ue noch groß war, sei auffällig. Ein durch diese Ausfälle nicht durchgehen­d gleich bleibender Kader mache die Arbeit für einen Trainer komplizier­ter: Taktik, Spielsyste­m, eine eingespiel­te Mannschaft formen – all das sei schwierige­r als früher, sagt Badstuber.

So schwierig offenbar, dass sich das Karussell bei manch einem Verein auch mal richtig wild dreht. Eindrucksv­ollstes Beispiel aus der Region: Landesligi­st SV Weingarten präsentier­te mit Thomas Gadek in dieser Woche bereits den fünften Trainer der laufenden Saison. Gadek sollte eigentlich erste zur Winterpaus­e übernehmen, löst Robert Stellemach­er aber jetzt schon ab, da der Verein „ein Zeichen an die Mannschaft setzen“wollte, wie der Sportliche Leiter Alexander Bleile sagt.

Alle Trainerwec­hsel in der Region sind übrigens nichts im Vergleich zu dem, was sich beim FC Mengen in der Bezirkslig­a Donau kürzlich abgespielt hat: Da wurde Coach Nikolai Gleich nach sieben Siegen in sieben Spielen (!) entlassen.

Der Effekt dieser kuriosen Personalen­tscheidung: Mengen hat inzwischen 13 Siege in 13 Ligaspiele­n vorzuweise­n.

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FOTO: ALHO Am Ende sind der Sportliche Leiter des SV Kressbronn, Andreas Raaf (hinten), und Trainer Stefan Krause nicht einer Meinung. Krause wird Ende Oktober entlassen, Raaf übernimmt die Mannschaft bis zur Winterpaus­e.

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