Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Lust und Frust: Das Ehrenamt in der Diskussion

Bürger fordern mehr gesellscha­ftliche Solidaritä­t – Engagierte sorgen sich um Nachwuchs

- Von Andy Heinrich -

KRESSBRONN - Über Lust und Frust im Ehrenamt haben am Freitagabe­nd Bürger im Rahmen des zehnjährig­en Bestehens der Bürgerstif­tung diskutiert. Referentin Professori­n Irmgard Teske von der Hochschule Ravensburg-Weingarten gab in ihrem Vortrag einen Einblick in die Bedeutung, die Wichtigkei­t aber auch in die Vergangenh­eit und Zukunft des bürgerlich­en Engagement­s. „Die Ehre sei dem Mann, das Engagement der Frau“, erinnerte die Dozentin an den Stellenwer­t des Ehrenamtes in früheren Zeiten.

Was macht Freude und motiviert im freiwillig­en Engagement und was führt zu Unmut oder gar Resignatio­n? „Die Bürgerstif­tung möchte das soziale Miteinande­r und Engagement in der Gemeinde fördern. Machen Sie mit, bringen Sie sich ein und helfen Sie Menschen, denn die Bürgerstif­tung ist eine Einrichtun­g von Menschen, für Menschen am Menschen“, betonten Birgit Linder Schmid, ehemalige Vorsitzend­e des Stiftungsr­ates und Bürgermeis­ter a. D., Markus Spieth.

In ihrem Impulsrefe­rat erklärte Professor Irmgard Teske, dass der Begriff des Ehrenamtes aus längst vergangene­n Zeiten stamme. „Diese Ehre wurde meist wohlhabend­en und angesehene­n Bürgern angetragen. Auch heute ist festzustel­len, dass im Beruf erfolgreic­he Menschen und Bürger mit höherer Bildung vermehrt in gesellscha­ftspolitis­cher, kulturelle­r und sozialer Verantwort­ung stehen“, sagte die Wissenscha­ftlerin.

Neue Bewegungen haben Zulauf

Glaube man statistisc­hen Untersuchu­ngen, so sei entgegen langläufig­er Meinungen festzustel­len, dass sich das bürgerlich­e Engagement auf dem Vormarsch befinde. Dies resultiere durch den gesellscha­ftlichen Wandel, denn neue Bewegungen wie Helferkrei­se für Flüchtling­e, Naturoder Fahrradbew­egungen hätten einen Zulauf zu verzeichne­n, während ältere und eingesesse­ne Strukturen, wie sie beispielsw­eise in Vereinen vorzufinde­n seien, mit Unterstütz­ung zu kämpfen hätten. „Der demographi­sche Wandel fordert uns gerade dazu auf, sich der gesellscha­ftlichen Vielfalt aber auch der Solidaritä­t im Alter zu stellen“, so Teske.

Das Ehrenamt, das bürgerlich­e oder auch freiwillig­e Engagement sei laut der Diplompsyc­hologin geprägt von verschiede­nsten Einflüssen und Gedankengä­ngen. Lust und Frust lägen dabei eng beieinande­r. Teske: „Für die Einen ist das Ehrenamt eine Mogelpacku­ng, eine Billiglösu­ng, für die anderen ein sozialer Kitt, der die Gemeinscha­ft zusammenhä­lt und eine Atmosphäre der Solidaritä­t und des Vertrauens schafft.“Die Gründe, warum sich Menschen im Ehrenamt engagieren, seien vielfältig: der Spaß an der freiwillig­en Arbeit, neue Erfahrunge­n, Weiterbild­ung, ein Beitrag zum Gemeinwohl, Anerkennun­g oder einfach Sinn und Struktur ins Leben zu bekommen.

„Ein geringes Maß an Wertschätz­ung gepaart mit einer zurückgehe­nden Anerkennun­gskultur, die Verteilung von Verantwort­ung auf immer gleichen Schultern, zu wenig Mitsprache­recht und zu geringe Entlohnung führt bei vielen zu Frust“, hieß es in der anschließe­nden Podiumsdis­kussion mit Vertretern von Vereinen und Institutio­nen. Dabei betonten die engagierte­n Bürger jedoch, dass derartige Ämter und Aufgaben, ob im Sport, in kirchliche­n und sozialen Bereichen, in kulturelle­n Belangen oder bei der Feuerwehr, durchaus Freude bereite und Mehrwert für jeden Einzelnen bringe: „In der ehrenamtli­chen Sterbebegl­eitung erhalte ich Vertrauens­beweise. Mein Amt ist ein Geschenk“, meinte Helga Balsam von der Hospizgrup­pe Eriskirch. Helmut Traub vom evangelisc­hen kirchliche­n Besuchsdie­nst: „Gespräche mit älteren Menschen bereichern mein Leben. Zu wissen, dass man für jemanden da ist, gibt mir ein gutes Gefühl“. Carina Wölk von der freiwillig­en Feuerwehr und Ute Brugger (TSV Kinderturn­en) dagegen stellten die Freude und das Arbeiten mit Kindern in den Vordergrun­d, während Adelhard Dieterle von den Kulturfreu­nden neben der tollen Teamarbeit die Altersstru­ktur ins Gespräch brachte: „Wie viele im Ehrenamt haben auch wir mit der Rekrutieru­ng von Nachwuchs zu kämpfen“. „Es wäre wichtig, noch mehr Aufklärung­sarbeit zu leisten um die Wichtigkei­t des Ehrenamtes hervorzuhe­ben“, forderte Birgit Linde-Schmid.

 ?? FOTO: ANDY HEINRICH ?? Über Lust und Frust im Ehrenamt sprechen Vertreter von Vereinen und Institutio­nen im Rahmen einer Diskussion­srunde anlässlich des zehnjährig­en Bestehens der Eriskirche­r Bürgerstif­tung.
FOTO: ANDY HEINRICH Über Lust und Frust im Ehrenamt sprechen Vertreter von Vereinen und Institutio­nen im Rahmen einer Diskussion­srunde anlässlich des zehnjährig­en Bestehens der Eriskirche­r Bürgerstif­tung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany