Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Lust und Frust: Das Ehrenamt in der Diskussion
Bürger fordern mehr gesellschaftliche Solidarität – Engagierte sorgen sich um Nachwuchs
KRESSBRONN - Über Lust und Frust im Ehrenamt haben am Freitagabend Bürger im Rahmen des zehnjährigen Bestehens der Bürgerstiftung diskutiert. Referentin Professorin Irmgard Teske von der Hochschule Ravensburg-Weingarten gab in ihrem Vortrag einen Einblick in die Bedeutung, die Wichtigkeit aber auch in die Vergangenheit und Zukunft des bürgerlichen Engagements. „Die Ehre sei dem Mann, das Engagement der Frau“, erinnerte die Dozentin an den Stellenwert des Ehrenamtes in früheren Zeiten.
Was macht Freude und motiviert im freiwilligen Engagement und was führt zu Unmut oder gar Resignation? „Die Bürgerstiftung möchte das soziale Miteinander und Engagement in der Gemeinde fördern. Machen Sie mit, bringen Sie sich ein und helfen Sie Menschen, denn die Bürgerstiftung ist eine Einrichtung von Menschen, für Menschen am Menschen“, betonten Birgit Linder Schmid, ehemalige Vorsitzende des Stiftungsrates und Bürgermeister a. D., Markus Spieth.
In ihrem Impulsreferat erklärte Professor Irmgard Teske, dass der Begriff des Ehrenamtes aus längst vergangenen Zeiten stamme. „Diese Ehre wurde meist wohlhabenden und angesehenen Bürgern angetragen. Auch heute ist festzustellen, dass im Beruf erfolgreiche Menschen und Bürger mit höherer Bildung vermehrt in gesellschaftspolitischer, kultureller und sozialer Verantwortung stehen“, sagte die Wissenschaftlerin.
Neue Bewegungen haben Zulauf
Glaube man statistischen Untersuchungen, so sei entgegen langläufiger Meinungen festzustellen, dass sich das bürgerliche Engagement auf dem Vormarsch befinde. Dies resultiere durch den gesellschaftlichen Wandel, denn neue Bewegungen wie Helferkreise für Flüchtlinge, Naturoder Fahrradbewegungen hätten einen Zulauf zu verzeichnen, während ältere und eingesessene Strukturen, wie sie beispielsweise in Vereinen vorzufinden seien, mit Unterstützung zu kämpfen hätten. „Der demographische Wandel fordert uns gerade dazu auf, sich der gesellschaftlichen Vielfalt aber auch der Solidarität im Alter zu stellen“, so Teske.
Das Ehrenamt, das bürgerliche oder auch freiwillige Engagement sei laut der Diplompsychologin geprägt von verschiedensten Einflüssen und Gedankengängen. Lust und Frust lägen dabei eng beieinander. Teske: „Für die Einen ist das Ehrenamt eine Mogelpackung, eine Billiglösung, für die anderen ein sozialer Kitt, der die Gemeinschaft zusammenhält und eine Atmosphäre der Solidarität und des Vertrauens schafft.“Die Gründe, warum sich Menschen im Ehrenamt engagieren, seien vielfältig: der Spaß an der freiwilligen Arbeit, neue Erfahrungen, Weiterbildung, ein Beitrag zum Gemeinwohl, Anerkennung oder einfach Sinn und Struktur ins Leben zu bekommen.
„Ein geringes Maß an Wertschätzung gepaart mit einer zurückgehenden Anerkennungskultur, die Verteilung von Verantwortung auf immer gleichen Schultern, zu wenig Mitspracherecht und zu geringe Entlohnung führt bei vielen zu Frust“, hieß es in der anschließenden Podiumsdiskussion mit Vertretern von Vereinen und Institutionen. Dabei betonten die engagierten Bürger jedoch, dass derartige Ämter und Aufgaben, ob im Sport, in kirchlichen und sozialen Bereichen, in kulturellen Belangen oder bei der Feuerwehr, durchaus Freude bereite und Mehrwert für jeden Einzelnen bringe: „In der ehrenamtlichen Sterbebegleitung erhalte ich Vertrauensbeweise. Mein Amt ist ein Geschenk“, meinte Helga Balsam von der Hospizgruppe Eriskirch. Helmut Traub vom evangelischen kirchlichen Besuchsdienst: „Gespräche mit älteren Menschen bereichern mein Leben. Zu wissen, dass man für jemanden da ist, gibt mir ein gutes Gefühl“. Carina Wölk von der freiwilligen Feuerwehr und Ute Brugger (TSV Kinderturnen) dagegen stellten die Freude und das Arbeiten mit Kindern in den Vordergrund, während Adelhard Dieterle von den Kulturfreunden neben der tollen Teamarbeit die Altersstruktur ins Gespräch brachte: „Wie viele im Ehrenamt haben auch wir mit der Rekrutierung von Nachwuchs zu kämpfen“. „Es wäre wichtig, noch mehr Aufklärungsarbeit zu leisten um die Wichtigkeit des Ehrenamtes hervorzuheben“, forderte Birgit Linde-Schmid.