Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
So viel Kunst war nie unter einem Dach
In der neuen Kunsthalle sind Werke von mehr als 70 renommierten Künstler zu erwerben
RAVENSBURG - Es dürfte das größte private Kunstprojekt sein, das in dieser Stadt und in der Region realisiert wurde. Wo Unmengen an städtischen Mülltonnen eingelagert waren, sind nun über 300 Arbeiten von über 70 Künstlern zu sehen. Skulpturen aus Stahl, Holz und Marmor, Fotografie und Aquarell, Mischtechnik, Comic und Collage. Die Moderne in allen denkbaren Formaten und Techniken, professionelle, etablierte Künstler, renommierte, Überraschungen und Entdeckungen. Aus dieser Stadt, aus der Region und weit darüber hinaus. Ein Kunstmarkt für private Liebhaber wie für Sammler, für große und für kleine Budgets, für große und für kleine Räume, für drinnen und für draußen. Diese in ihren Dimensionen überwältigende Stahlskulptur von Reinhard Scherer, zum Beispiel, gewaltig und zugleich transparent, weil sie zerlegt, was Stahl doch so häufig repräsentierte – Gewalt. Oder, draußen, vor der Halle, diese wundervoll gerippten Hölzer von Carin Arnold, die wie magische Hieroglyphen nach oben streben, am liebsten das Fabrikdach durchstießen.
Und damit fing alles an. Carin Arnold ist eine starke Frau. Für ihre Kunst schlägt sie im Wald Bäume, zerstört sie aber nicht, belässt ihr Wesen, das nach oben Strebende, und gibt ihnen eine neue, ihre Ästhetik. Und so verwandelte sie die Lagerhalle, als sie mit der Fabrik daneben an einen privaten Unternehmer verkauft wurde, mit enormer Kraft und handwerklich begabten Freunden in eine Kunsthalle. Meter um Meter, den verdreckten Boden, die Ziegelwände abgespritzt, auf deren gleißendem Weiß nun großflächige Malerei hängt. Mit einer Hub-Bühne eine Sperrholzdecke herabgerissen, unter der eine alte Balkendecke restauriert wurde. Einen Kamin eingebaut, damit nun an den Wochenenden ein riesiger Eisenofen gegen die Kälte anbullert. Kleine Ausstellungen, noch eine und noch eine, bis sie den riesigen Raum mit Empore erobert hatte. Nun wurde der Traum wahr, zusammen mit dem Skulpteur Axel Otterbach aus Bad Waldsee, dessen Schülerin sie war. Ein Kunstmarkt von bislang einmaligem Ausmaß und faszinierender Vielfalt.
Kunst auf höchstem Niveau
Raimund Wäschle mit einer farblichen Kraft und Dichte, wie er sie noch nie hatte, und ebenso neu die Spannungen in Dieter Konzeks großformatiger Malerei, ganz anders als seine bisherigen Zeichnungen. Entdeckungen wie Bernd Hörter, ein „naiver“Künstler aus den Zieglerschen Anstalten, der mit seiner Luftmaschine, mit einem roten Fisch, Bildformate erobert. Artbrut auf höchstem Niveau, oder Kerstin Stöckler mit hauchzarten Figuren, Figurinen fast, aus Papier und Draht, oder Timo Sacher aus Ravensburg, der an der Leipziger Kunstakademie diplomierte. In seiner Malerei flimmert, oszilliert, wandert das Licht.
Axel Otterbach zeigt zwei alte Arbeiten aus zartrosa portugiesischem Marmor, in der räumlichen Klarheit, in den Durchbrüchen, in der geradezu erotischen Glätte des Marmors Beispiele für absolute Schönheit. Davon konnte er vieles weitergeben, wie Arbeiten seiner Schüler zeigen: Konrad Bogumil mit den verdichteten Schichtungen seiner Skulpturen, Rüdiger Seidt mit den gegeneinander verkanteten Metall- und räumlichen Öffnungen, die keine „biedere“Balance haben. Zwei sehr unterschiedliche Fotografen testen das Medium in neuen Techniken – Ferdinand Joesten aus Ostrach, der Personen auf einer Mole vor dem Wasser fotografiert, dass Wirklichkeit wirkt wie neorealistische Malerei, und ähnlich verblüffend Steffen Dietzes Haare und Wassertropfen auf Folie und Glas, dass sie wie Barockmalereien wirken.
Zum Schmunzeln gibt es die vier schwarzen Besenköpfe auf Holz von Ottmar Hörl, die mit schnellem Strich auf McDonalds-Papier gemalte Tate Gallery und ein paar pralle Frechheiten, die man selbst anschauen sollte. Tebi Kunstbär ist das Ravensburger Pseudonym dahinter. So vergnüglich wie das zweite lokale Pseudonym, Art Loechle, der (oder die?) in witziger, sinnlicher Ironie mit Comicgenres spielt und zweifellos die Eleganz eines Egon Schiele verehrt.
Kunst aus der Region entdecken
Faszinierend, was an eigenwilligen Arbeiten aus dieser Region zu entdecken ist – die überberstende, futuristische Formsprache von Michael Beck, die wilden, lebensprallen Farbradierungen von Walter Stöhrer, die archaischen Torsi in Jo Bukowskis Malerei oder Barbara Ehrmanns transzendental feine, wie aus Klangschalen fließende Malerei.
Sie alle stehen und hängen auf sehr hohem Niveau gleichberechtigt neben den „Großen“, den Wohlbekannten der nationalen, teils der internationalen Kunstszene, die Carin Arnold aus Privatbesitz und über Galerien in ganz Deutschland bekam (auch dies eine großartige Leistung): Dieter Krieg, Otto Dix, Max Ackermann, Smuel Shapiro, HAP Grieshaber, Jörg Immendorf, um nur ein paar zu nennen.
Die Kunsthalle Ravensburg ist bis zum 22. Dezember, freitags von 15 bis 18, samstags von 12 bis 16, sonntags von 14 bis 16 Uhr. Besuche zu anderen Öffnungszeiten über kontakt@kunsthalle-ravensburg.info. Bei der Finissage am 22. Dezember spielt das Duo Burr & Klaiber.