Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Angeklagter lehnt „Experimente“ab
Angeklagter Brandstifter fühlt sich immer noch verfolgt, will aber keine Medikamente
LINDAU - Der Mann, der im Juli 2015 im Keller eines Hauses am Berliner Platz in Lindau die Gasleitung beschädigt und dann ein Feuer gelegt hat, ist inzwischen in der forensischen Psychiatrie. Ob der unter Verfolgungswahn leidende Mann dort bleiben muss, darüber muss das Landgericht Kempten jetzt in einem komplett neu aufgerollten Verfahren entscheiden, da der Bundesgerichtshof im Frühjahr das Urteil einer anderen Kammer des Landgerichts aufgehoben hatte.
Die zentrale Frage in diesem Verfahren lautet: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass von dem Angeklagten weitere Straftaten zu befürchten sind? Nach dem ersten Verhandlungstag stand fest: Der Mann fühlt sich immer noch verfolgt von Menschen, die ihn „mobben“, und weigert sich, Medikamente einzunehmen.
Unstrittig ist, was im Juli 2015 passiert ist: Der Angeklagte hatte im Mehrfamilienhaus die Gasleitungen beschädigt und mit Benzin Feuer gelegt. Wie berichtet, waren die Bewohner nur knapp einer Katastrophe entgangen. Unstrittig war auch, dass der heute 56-Jährige schuldunfähig ist, da er unter psychischen Störungen litt. Strittig war jedoch das erste Urteil: Das Landgericht Kempten hatte den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung in die Psychiatrie abgelehnt, da es den Mann nicht weiter für gefährlich hielt. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil wieder auf und ordnete an, den Mann in der Psychiatrie unterzubringen. Jetzt muss eine andere Kammer am Landgericht den Fall neu verhandeln.
Dass auch diese Verhandlung kein Kuschelkurs werden wird, daran ließen die Verteidiger keine Zweifel. „Offensichtlich schenkt man Kempten in Karlsruhe nicht so viel Vertrauen“, spielte Anwältin Olga Sommer darauf an, dass der Bundesgerichtshof den Fall lieber vor dem Memminger Landgericht gesehen hätte. Ihr Kollege Moritz David Schmitt überraschte die Kammer mit dem Antrag, über ein Rechtsgespräch auch außerhalb der Hauptverhandlung eine Einigung erlangen zu wollen. Der Vorsitzende Richter Elmar Lechner erkannte den Sinn nicht, versicherte aber, dass auch er überlege, „wie man den Fall jenseits der beiden Pole Unterbringung und Nicht-Unterbringung regeln kann“. Die Richter würden auch den Umstand berücksichtigen, dass der Angeklagte bisher straffrei geblieben ist. Für ein Urteil sei aber entscheidend, ob „man hier von erhöhter Wahrscheinlichkeit hinsichtlich der Begehung weiterer Taten ausgehen kann“. Um dies einschätzen zu können, bräuchte er die Angaben des Angeklagten.
Der äußerte sich dann auch – und zwar ausführlich, äußerlich gelassen, mit ruhiger Stimme. Er sei im Juli 2015 von Leipzig Richtung Süden aufgebrochen, um verschiedene Projekte zu vermarkten. Nach einem kurzen Gespräch mit einem potenziellen Betreiber auf dem Pfänder, fühlte er sich von Jugendlichen bedroht, die vor einem Supermarkt in Bregenz standen. Später fühlte er sich Jugendlichen bedroht, die an der Haltestelle in Lindau warteten und vom Busfahrer, der auf sein Lenkrad geschlagen habe. Als er am Berliner Platz ausstieg, sei ihm ein schwarzes Auto gefolgt. Er rannte zweimal ums Eck und landete in einer Sackgasse, klingelte an dem Wohnhaus so lange, bis jemand aufmachte. Dort versteckte er sich bis zum frühen Morgen im Keller. Er war sich sicher, draußen ein Auto zu hören. „Es hat jemand gewartet“, sagte der Angeklagte. „Die Belagerung“habe ihn „total verängstigt“. Er habe keinen anderen Ausweg gesehen, als das Feuer zu legen, um rettende Hilfe zu bekommen.
„ Was hätten denn Sie gemacht?“
Bei seiner Verhaftung hatte er immer davon geredet, dass „die Organisation“sein „Konzept“stehlen wolle, indem sie ihn verfolge oder sein Handy und seinen Rechner hacke. Diese Worte vermied der Angeklagte jetzt. Es wurde aber auch so klar, dass er sich auch heute noch verfolgt fühlt.
In eine so ausweglose Situation wie damals in Lindau sei er aber seither nie wieder gekommen: „Das war eine einmalige Sache“betonte der 56-Jährige, dessen Unrechtsbewusstsein nicht sehr ausgeprägt ist. Schuld an der Brandstiftung seien „die Personen, die das provoziert haben“. Seiner Meinung nach sei die „Gefahr für die Anwohner minimal gewesen“. Auf die Frage des Richters, ob die Tat ein Fehler war, antwortete er: „Ein Fehler? Was hätten denn Sie gemacht?“
Der Angeklagte hatte nach der Tat drei Sitzungen bei einem Psychologen, dann brach er den Kontakt ab. Bis heute weigert er sich Medikamente einzunehmen, da das nur gesundheitsschädigende „Experimente“seien. Als Lösung für seine Probleme könne er sich über die Wintermonate betreutes Wohnen vorstellen. Aber auch da schränkte er ein: „Sollte es mit dem Mobbing weitergehen, ist die Frage, wie lange ich da bleiben kann.“Schließlich wolle er „nicht gewalttätig werden“. Deshalb wäre ihm später ein Leben im Wohnmobil lieber.