Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Der Ärger um das Bergradeln
Thema Mountainbiking versus Naturschutz wird emotional diskutiert – Ausgewiesene Routen sollen Frieden und Einnahmen bringen
IMMENSTADT - Eine Bergtour im Gebiet der Oberallgäuer Nagelfluhkette kurz bevor der erste große Schneefall alles zugedeckt hat: Schritt für Schritt geht es den Steig hinauf zum 1749 Meter hohen Stuiben. Auf einmal ertönt von hinten ein Ächzen. Zwei Mountainbiker hetzen mit geschulterten Rädern Richtung Gipfel, überholen sogar. Einer quält sich noch ein „Servus“heraus. Respekt, denkt man im Hinblick auf das sportliche Tun.
Nicht allzu lange danach schießen die beiden den von einem vorigen Regenfall durchweichten Steig wieder herunter – dieses Mal auf ihren Rädern sitzend. Als Wanderer bleibt einem nur der schnelle Schritt ins seitliche Gelände. Der Blick folgt dabei den Berg-Radlern. Die groben Reifen ihrer Sportgeräte spritzen jede Menge Dreck auf. Die jungen Männer sind davon überdeckt wie ein Motocross-Fahrer. Im eh schon von vielen Bergstiefeln lädierten Steig zeichnen sich zusätzliche tiefe Rillen ab – weitere Angriffsflächen für den nächsten Regen. Er wird erneut ein Stück Weg talwärts spülen. Erosion nennt sich dies dann.
Attraktive Angebote schaffen
Die Beobachtung zeigt gleich zwei der Gründe, weshalb Mountainbiking immer mal wieder in Verruf kommt: verschreckte Wanderer und Geländeschäden. Der Marsch zum Stuiben sollte deshalb folgendem Zweck dienen: schauen, wie es vor Ort ist. Kurz zuvor waren nämlich auf einer Veranstaltung im Oberallgäu dezidierte Pläne vorgestellt worden, wie sich Bergradeln, Wandern und Naturschutz im Bereich des Naturparks Nagelfluhkette vereinbaren lassen. Es geht dabei um eine schon länger anvisierte Kanalisierung der Sportler auf vorgegebenen Wegen.
„Wir wollen attraktive Bikerrouten definieren. Diese sollen neben den bekannten und schon immer gefahrenen Forst- und Alpwegen auch eine gewisse Anzahl an Trails umfassen“, sagt Rolf Eberhardt, Geschäftsführer des Naturparks. Wobei mit Trails im Szenejargon Pfade oder Steige gemeint sind, also die problematischen Strecken. Eberhardt glaubt aber, auf diese Weise die Radler tatsächlich „lenken“zu können: „Wenn wir ein attraktives Angebot haben, können wir auch offensiv vermitteln, wo Mountainbiken nicht erfolgen soll.“
Grenzüberschreitende Wege
Sinnigerweise präsentierte die in der Region sehr einflussreiche Marketingund Standortgesellschaft Allgäu GmbH wenige Wochen nach den Nagelfluhplänen in der zweiten Novemberhälfte ein weiteres Mountainbiking-Projekt. Es geht dabei um grenzüberschreitende Wege. So sollen Tirol und das Allgäu vernetzt werden. „Die Streckenführung muss Erlebnischarakter haben“, forderte Michael Keller, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Tannheimer Tal, einem direkten Allgäu-Nachbarn. Wieder war von Trails die Rede.
Bei dieser Präsentation lag in den Bergen schon Schnee. Entsprechend schweifen die Gedanken da eher in Richtung Skifahren. Aber das Thema Mountainbiken kennt offenbar keine Jahreszeiten. Anfang Dezember legte die Allgäu GmbH nach und forderte von der bayerischen Staatsregierung nachdrücklich Fördermittel für ein Lenken der Bergradler. Gleichzeitig schwelt im Westallgäu noch ein Streit zwischen Waldbesitzern und Mountainbikern, der Schlichtungsrunden nötig macht.
Einschränkung durch Waldgesetz
In Baden-Württemberg nutzten wiederum Radverbände den frostigen Spätherbst, um angebliche Versäumnisse der Landesregierung zu beklagen. Der Vorstoß ging auf den FDPLandtagsabgeordneten Klaus Hoher zurück. Er hatte bei der Regierung angefragt, wie es landesweit ums Ausweisen von Mountainbike-Strecken bestellt sei. Die Antwort kam. Den darin beschriebenen Ist-Zustand halten die besagten Radverbände aber für bescheiden. Der deutsche Südwesten ringt auf diesem Gebiet jedoch auch mit einem bundesweit exklusiven Problem: Sein Waldgesetz verbietet pauschal das Radeln auf Wegen, die weniger als zwei Meter breit sind. Dies soll dem Schutz von Forst, Wild und Biotopen dienen, weil damit ein QuerbeetFahren flachfällt.
Für ambitioniertes Mountainbiken ist die Zwei-Meter-Regel aber praktisch ein Todesurteil. Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountain Bike schwillt deshalb immer wieder der Kamm. Der Schwarzwaldbewohner aus dem Renchtal ist gleichzeitig Projektleiter von „Open Trails“, einer Lobbyaktion für ein freies Radeln auf Pfaden. Mittelstädt registriert zwar, dass Baden-Württemberg inzwischen auch schmale Wege speziell für Mountainbiker bereitstellt. „Trotzdem gelingt es nicht, attraktive Strecken auszuweisen“, meint er ärgerlich.
Mittelstädt glaubt: „Während einheimische Mountainbiker seit Jahren die Zwei-Meter-Regel ignorieren, werden potenzielle Gäste davon abgeschreckt und fahren in andere Gebiete.“Dies soll heißen, der Tourismus wird stark geschädigt. Mit diesem Punkt könnte wiederum zusammenhängen, weshalb das Radler-Thema gerade jetzt hochkocht: Es geht darum, Pflöcke für die Zukunft einzuschlagen. Motto: Nach der Saison ist vor der Saison.
Die Bergradler sind zu einer wirtschaftlich relevanten Gruppe herangewachsen. Die Deutsche Initiative Mountain Bike geht von knapp zehn Millionen dieser Sportler allein in der Bundesrepublik aus. Etwa 3,3 Millionen davon säßen regelmäßig im Sattel, lautet die Rechnung der Organisation. Die Klientel gilt generell als finanzstark. Immerhin sind die besseren Mountainbikes sündhaft teuer. Touristisch hinterlassen die Fahrradfahrer längst deutliche Spuren. In diesem Bereich lag der Bruttoumsatz nach einer Grundlagen-Studie des Deutschen Tourismusverbandes von 2009 bereits damals bei vier Milliarden Euro im Jahr. Wobei hier auch die Genuss-Pedalisten erfasst sind, die beispielsweise gemächlich den Bodensee-Fahrradwanderweg entlangrollen.
Potenzial für Tourismus
Grundsätzlich attestiert Bernhard Joachim, einer der beiden Geschäftsführer der bereits erwähnten Allgäu GmbH, auch für seine Region die Wichtigkeit der Mountainbiker: „Die immer zahlreicher werdenden Freizeitsportler stellen letztlich auch ein bedeutendes Potenzial für den Tourismus dar.“Fremdenverkehrsdirektoren oder Hoteliers entdecken dies zunehmend. In bergigen Regionen wie dem Oberallgäu sieht mancher aufgeweckte Einheimische im Mountainbiking sogar eine Chance, den vom Klimawandel bedrohten Wintersport zu ersetzen.
Dies heißt aber nicht, dass nun die allumfassende Liebe zu den Bergradlern ausgebrochen ist. „Für die Jagd sind sie schädlich“, schimpft etwa der Oberallgäuer Kreisjägermeister Heinrich Schwarz. Seiner Erfahrung nach halten sich viele Mountainbiker an keinen Weg und scheuchen so das Wild durch die Gegend. Eine Kanalisierung der Sportler sieht Schwarz skeptisch: „Solche Strecken werden dann beworben. Dann kommen noch viel mehr Mountainbiker zu uns.“
Andreas Täger, Geschäftsführer der Waldbesitzervereinigung Westallgäu, stört sich wiederum „am Fahren quer durch den Wald, an baulichen Maßnahmen zur Anlage von Strecken im Wald und am Befahren von Verjüngungsflächen“. Das Hauptproblem sei eben das „wilde Biken“. Da stimmt ihm Herbert Esslinger zu. Der drahtige Geschäftsmann führt die Mountainbike-Truppe des Sportvereins in Neuravensburg, einem Ort an der Grenze zum Westallgäu. Er meint jedoch: „Es sind nur wenige, die wild fahren. Sie machen aber der großen Mehrheit, die sich an Regeln hält, das Leben schwer.“
Zumindest reden im Westallgäu inzwischen alle betroffenen Parteien miteinander. Wie zu hören ist, gibt es zwischen Waldbesitzern, Radlern, Wanderern und Jägern sogar gedeihliche Gespräche. Unklar bleibt aber immer noch, wohin der Weg letztlich gehen soll. Weshalb sich einmal mehr die Frage nach einer möglichen Kanalisierung der Biker stellt. „Sie muss unbedingt umgesetzt werden“, heißt es von der Allgäu GmbH. Dort denkt man an die Werbewirksamkeit eines schön beschriebenen RadlerWege-Netzes. Im Naturpark Nagelfluhkette geht es um die Chance, durch eine Lenkung der Sportler ökologische Schäden zu verhindern – auch um den Preis eines speziellen Wegebaus für Mountainbiker. Von solchen Eingriffen in die Berglandschaft hält hingegen der Deutsche Alpenverein wenig.
Forderung: Freie Fahrt für Biker
Und wie sieht Heiko Mittelstädt, der zentrale Sprecher der Mountainbikebewegung, die angestrebte Kanalisierung? Negativ. Er propagiert das freie Betretungsrecht der Natur und damit die freie Bike-Fahrt: „Es ist nicht Aufgabe eines Tourismuskonzepts, Einschränkungen gegen die Bevölkerung durchzusetzen.“Wanderer würde man ja auch nicht von Wegen abseits der ausgeschilderten Pfade aussperren.
Zumindest in den Bergen dürfte die Diskussion aber bis auf Weiteres nicht befeuert werden. Im Schnee radelt es sich schlecht, was allein Hartgesottene nicht von einer Tour abhält. Dafür lebt ein parallel geführter Konflikt jahreszeitlich bedingt wieder auf: kreuz und quer laufende Schneeschuhwanderer und Skitourengänger, die dem Bergwild die wichtige winterliche Ruhe nehmen. Auch hier wird über eine Kanalisierung gestritten.