Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein bewusst geschürter Streit
Polen lieben Superlative: Man will zu den Ersten gehören, zu den Größten und Besten. Nun steht Polen erneut ganz oben auf dem Treppchen, doch es gibt keinen Grund zum Feiern. Nicht Stolz, sondern Scham verspüren die meisten Polen. Am Mittwoch eröffnete die Europäische Kommission ein Rechtsstaatsverfahren gegen ein EU-Mitglied nach Artikel 7 des EU-Vertrages. Der Tag wird in die Geschichte eingehen. Denn dies passiert zum ersten Mal, seit es die Gemeinschaft gibt. Ausgerechnet Polen, dessen Bürger so große Ambitionen haben, wird nun EU-weit angeprangert, mit seinen Gesetzen die Rechtsstaatlichkeit im eigenen Lande zu gefährden. „Ein trauriger Tag“, meinte EU-Ratspräsident Donald Tusk zur Einleitung des Verfahrens gegen sein Heimatland. Ein trauriger Tag ist es für beide Seiten – für Polen und für die EU.
Polens nationalpopulistische Regierung lacht darüber nur. Sie steuerte bewusst auf die Konfrontation zu. Anders als den EU-Politikern liegt Jaroslaw Kaczynski, dem Parteivorsitzenden der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), nichts an einer Verständigung. Im Gegenteil: je mehr Streit, desto besser, ganz nach dem Motto: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte. In Polen funktioniert das hervorragend: Die Opposition ist zerstritten, die Zivilgesellschaft machtlos. Jetzt geht es Kaczynski darum, den Streit auch in die EU zu tragen.