Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Skigebiete ohne Zukunft
Ohne künstlichen Schnee wäre der Pistenbetrieb in den meisten Wintersportorten kaum noch zu gewährleisten
Weißes Band auf grünem Grund (Foto: Shutterstock), an dieses Bild haben wir uns schon gewöhnt. Auch wenn mancherorts dieses Jahr früh die Flocken fielen, in vielen Skigebieten geht ohne Schneekanonen nichts mehr. Dieser Trend, so Experten, wird sich noch verschärfen.
GRASGEHREN - „Ein Superschnee“, konnte sich der Nachbar im Schlepplift-Bügel freuen. Begeisternde Worte, die Ende November gefallen sind. In diesem Fall nicht auf einem Gletscher und damit erwartbar, sondern auf den damals bereits verschneiten Hochweiden von Grasgehren. Das kleine Wintersportgebiet mit seinen elf Pistenkilometern, fünf Liften und einem Wirtshaus liegt am Riedberger Horn. Dies ist jener 1787 Meter hohe Berg, der wegen umstrittener Skischaukel-Pläne über das Oberallgäu hinaus bekannt geworden ist.
Saison-Start war am 18. November. Eine Woche später bildeten sich bereits Schlangen vor den Liften. Es war fast so, als hätte der frühe Schnee ein magnetische Wirkung. „Ich bin kurzentschlossen aus Augsburg hergefahren“, sagte der Lift-Nachbar beim Ausstieg. Dann jauchzte er und raste den Berg hinunter. Die Skihymne des österreichischen Popsängers Wolfgang Ambros kommt einem dabei in den Sinn: „Schifoan is’ des Leiwandste, wos ma si nur vurstöll’n ko.“Nun mag Skifahren für manchen wirklich das Schönste zu sein. Für sein Hobby ist er aber zunehmend auf Kunstschnee angewiesen.
Zukunft des Skifahrens in Gefahr
Viele Skifahrer verdrängen dies gerne, weil dadurch ihr Naturgefühl gestört wird. Aber längst bestätigen Wintersportexperten, dass „ohne Kunstschnee vielerorts nicht mehr viel geht“. So meint GrasgehrenChef Berni Huber: „Um einen geregelten Winterbetrieb aufrechtzuhalten, ist auch bei uns eine maschinelle Beschneiung unabdingbar.“Daran knüpft die Sinnfrage an, wie lange Skifahren überhaupt noch eine verantwortbare Zukunft hat.
Dem Wintersportler hilft weder das Schöntrinken der Lage mit Glühwein oder Jagertee, noch der Blick in die mit Schnee gesegneten Berge. Die Klimadaten sind gegen ihn. Das Schweizer Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie vermeldet: „Die Winter in höheren Lagen der Schweiz sind seit Messbeginn 1865 um 1,7 Grad milder geworden.“Laut Bundesamt dürfte die Schneegrenze bis zum Jahr 2100 um mindestens 500 Meter steigen.
Prinzipiell weisen alle seriösen Studien in dieselbe Richtung. Zuletzt haben sich Forscher des im Graubündner Nobelskiort Davos angesiedelten renommierten Schnee- und Lawinenforschungszentrums zu Wort gemeldet. Sie halten jene Lagen bis um 1200 Meter herum für akut gefährdet, weil sich dort am schnellsten die Durchschnittstemperaturen ins Plus verschieben. Vom renommierten Klimaexperten Harald Kunstmann, einem Wissenschaftler
des Karlsruher Institute of Technology, war jüngst einmal mehr zu hören: „Alle Skigebiete unterhalb von 1500 Metern werden es sehr schwer haben in den nächsten 30 Jahren.“
Speziell für Bayern sind dies düstere Aussichten. Außer dem Zugspitzplatt und den beiden Oberstdorfer Skigebieten Nebel- und Fellhorn liegt im Freistaat alles weitgehend im problematischen Bereich – oder kratzt wenigstens an ihm, Grasgehren beispielsweise. Die Pisten des Gebiets befinden sich zwischen 1400 und 1700 Höhenmetern. Wobei der spätnovemberliche Skispaß auch dort ohne den Einsatz von Schneekanonen eingeschränkt gewesen wäre. Im unpräparierten Gelände kratzen die Skier nämlich rasch über Steine.
Aber davon abgesehen, war die Berglandschaft eben schön weiß – vor Weihnachten eine Ausnahme in den vergangenen zehn Jahren. Frau Holle konnte sich also dem Dank von Touristikern, Hoteliers und Seilbahnbetreibern sicher sein. „Endlich wieder frühzeitig Schnee“, attestierten sie nicht nur im Umfeld von Grasgehren. Es gab sogar Stimmen, von denen die überraschende Flockenpracht als Hinweis auf übertriebene Klimaängste gewertet wurde. Als dann Richtung Weihnachten noch der richtig große Schnee dazukam, hatten Wintersport-Skeptiker vollends einen schlechten Stand. Die momentanen Traumbedingungen für Brettl-Fans lassen sich nicht wegdiskutieren. Doch selbst eine Flockenpracht verheißt nicht, dass Schneekanonen überall stillgelegt sind. An diesem Punkt kommt der heutige Massenbetrieb auf den Pisten ins Spiel. Zumindest an exponierten Stellen können Hänge ohne zusätzliche Beschneiung rasch bis zur Grasnarbe abgefahren sein. Der Kunstschnee ist also nebenbei auch dem Abfahrtskomfort geschuldet.
Heutzutage ist es unvorstellbar, dass jemand seine Skier über braune Pistenflecken trägt. Bis hin zu Gletscher-Skigebieten scheint das Motto zu lauten: Der Gast braucht ein weißes Band von der Berg- bis zur Talstation. Dieser wiederum goutiert die Pistenpflege – zumal er für den Wintersporturlaub immer mehr zahlen muss. In Edel-Skiorten sind Normalverdiener mit Familie längst finanziell ausgeschlossen. Bei einer solchen Entwicklung gelten braune Unterbrechungen der Pisten als Unding. Die Profi-Beschneier schieben gerne ein Öko-Argument nach: Kunstschnee würde die Hänge vor den scharfen Skikanten schützen.
Naturschutzaktivisten sträuben sich da die Nackenhaare. „Die künstliche Beschneiung ist zum Symbol menschlicher Unbelehrbarkeit in Zeiten des Klimawandels geworden“, verlautbart der bayerische Bund Naturschutz. Dessen Alpenexperte Thomas Frey betont, es sei unvertretbar, für den Wintersport noch „erhebliche Eingriffe in die Natur und Landschaft“durchzuführen.
Künstliche Beschneiung setzt Baumaßnahmen voraus. Die Maschinen benötigen Strom- und Wasserleitungen. Am sichtbarsten sind extra angelegte Speicherseen. Für den Kunstschnee werden immense Wassermassen benötigt. Hinzu kommen weitere heikle Punkte. Kunstschnee ist dichter. Er liegt länger und verkürzt die Vegetationsperiode. Zudem braucht es für die Beschneiung mindestens Temperaturen am Gefrierpunkt. Nur durch den Zusatz von Bakterienproteinen lassen sich noch bei minimalen Plusgraden die ersehnten Flocken erzeugen. In Bayern ist dies verboten. Die Schweiz und Frankreich erlauben den Zusatz.
Billig ist der Kunstschnee nicht. Schon bei mittelprächtigen Skigebieten kommt es zu Kosten in Millionenhöhe. Ohne ausreichend Schnee ist aber alles nichts. Dieser Satz dürfte die Geisteshaltung vieler Skifahrer ebenso treffen wie jene der Wintersport-Wirtschaft. Sie hat eine Zielmarke von hundert Betriebstagen. Dieser Zeitrahmen gilt als nötig, um schwarze Zahlen zu schreiben. Der produzierte Schnee soll helfen, das Ziel zu erreichen. So ist auch in Grasgehren ein neues Speicherbecken für Beschneiungsanlagen vorgesehen. Es würde Hochmoorbereiche berühren. Der Naturschutz tobt bereits. Die Empörung der Öko-Seite steigert sich noch durch die offensichtliche Überdimensionierung des Beckens.
Bund-Naturschutz-Sprecher Frey sagt, von ihm aus solle auch die geplante Verbindung zwischen Grasgehren mit dem benachbarten Balderschwanger Skigebiet bedient werden. Sie würde eine bisher streng geschützte Alpenzone am Riedberger Horn berühren. Der Deutsche Alpenverein und Ökoverbände sind dagegen. Bayerns Staatsregierung unterstützt die Pläne. Vor Ort ist die vorherrschende Meinung: Ohne Verbindung drohe beiden Skigebieten angesichts transalpiner Konkurrenz der Untergang. Gerade im nahen Österreich wird groß in die wintersportliche Aufrüstung investiert.
Deshalb ist die Skischaukel am Riedberger Horn für Balderschwangs Bürgermeister Konrad Kienle ein Projekt, bei dem es um die Zukunft seines 300-Seelen-Dorfes geht. „Ohne Tourismus bleibt uns nur noch ein bisschen Landwirtschaft“, beschrieb der hauptberufliche Hotelier im vergangenen Jahr die Situation. Bisher war es eben auch in Balderschwang so, dass der Wintersport den Löwenanteil der touristischen Einnahmen brachte. Kienles Folgerung ist simpel: Fehlen Verdienstmöglichkeiten, stirbt das Dorf.
Bisher war das Balderschwanger Tal ein Schneeloch. Bis zu zwei Meter der weißen Pracht meldet die Region gegenwärtig. Kienle meint, an diesem Schneereichtum werde sich auch künftig nicht viel ändern. Vielleicht hilft ja der Glaube. In anderen Oberallgäuer Skigebieten, in denen jüngst teilweise zig Millionen Euro dem Anlagenausbau zuflossen, wird jedoch gerne ein nüchterner Hinweis nachgeschoben: Bis der Klimawandel einschneidend spürbar werde, seien die Investitionen abgeschrieben. So lange hätte man dann noch an den Skifahrern verdient.
Wobei gerade Allgäuer Hoteliers und Tourismusvereine ihr winterliches Angebot inzwischen ausdehnen: Schneeschuh- oder Winterwandern, Wellness, Mountain-Biken, sollte es schneefreie Wege geben. Die einflussreiche Marketing- und Standortgesellschaft Allgäu GmbH verweist darauf, dass trotz mancher Schnee-Nöte in den vergangenen Jahren die Zahl der Wintertouristen stark steige – zuletzt um 5,6 Prozent.
Nun florierte in dieser Saison ja auch Grasgehren bereits Ende November. Wobei es einen Wermutstropfen gab. „Blöd, dass nicht alle Lifte laufen“, stellte damals der Nachbar im Schlepplift-Bügel fest. In der Tat: Der Sessellift stand noch drei weitere Wochen. Die technische Revision war nicht abgeschlossen. Offenbar ist der frühe Wintereinbruch nach den bescheidenen Saison-Auftakten der vergangenen Jahre doch überraschend gekommen.
„Alle Skigebiete unterhalb von 1500 Metern werden es sehr schwer haben in den nächsten 30 Jahren.“ Klimaexperte Harald Kunstmann