Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Veränderte Machtverhältnisse
Tarifverhandlungen folgen in der Regel Ritualen. Zunächst werden die wechselseitigen Forderungen rundweg abgelehnt, dann wird verhandelt. Am Ende steht eine Einigung oder der Arbeitskampf. In der Metallindustrie könnte es gleich zum letzten Mittel kommen. Die Härte der anstehenden Auseinandersetzung ist ein Zeichen sich ändernder Machtverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in der Branche.
Für die IG Metall stehen die Aussichten auf einen Erfolg so gut wie schon lange nicht mehr. Die Konjunktur brummt, und die Unternehmen sind auf gut qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Schon jetzt müssen Konzerne ihre Produktion drosseln, weil Schichten nicht besetzt werden können. Und das wird sich auch kurzfristig nicht ändern, weil die Belegschaften überaltert sind und der Nachwuchs fehlt.
Beim Geld werden sich beide Seiten wohl einigen können. Sechs Prozent will die IG Metall, zwei werden geboten. Doch die Forderung nach einer Veränderung der Arbeitszeit ist für die Wirtschaft ein rotes Tuch. Dabei ist dieser Wunsch an sich völlig legitim: Die digitale Arbeitswelt verändert die Rahmenbedingungen für geregelte Arbeitszeiten von Grund auf, das Konzept des klassischen Siebenbeziehungsweise Acht-Stunden-Tages zerbröselt mehr und mehr. Die Arbeitgeber wollen die neuen Möglichkeiten für sich nutzen und fordern die Akzeptanz effizienterer Organisationsmodelle – und genau diese Flexibilität will nun die Gewerkschaft auch für die Arbeitnehmer durchsetzen.
Wenn Arbeitgeber also künftig attraktiv bleiben wollen, müssen sie den Beschäftigten über gute Löhne hinausgehende Angebote machen. Bisher wurden flexible Arbeitszeiten vornehmlich an den betrieblichen Interessen ausgerichtet. Künftig werden die Arbeitgeber auch die Bedürfnisse der Arbeitnehmer stärker berücksichtigen müssen.
Bislang verharren beide Seiten auf ihren Maximalpositionen. Sollten sich Arbeitgeber wie Arbeitnehmer bei dem Thema nicht bald bewegen, droht der Branche der härteste Arbeitskampf seit Jahrzehnten.
wirtschaft@schwaebische.de