Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Beeindruckende Bilderreise
Mit immensem Aufwand bringt „Loving Vincent“den Kosmos van Goghs ins Kino
Der neue Kinofilm „Loving Vincent” ist das Ergebnis einer Liebesgeschichte. Er handelt zum einen natürlich von der Liebe zum leidvollen Leben und zum Werk von Vincent van Gogh. Zum anderen geht es aber auch um die Liebe der Macher zueinander und zu den neuen Möglichkeiten, die der animierte Film nach wie vor eröffnet.
Hugh Welchman gewann mit seiner Produktionsfirma bereits 2008 für seine Kurzfilm-Adaption von „Peter und der Wolf“einen Oscar. Als er begann, mit der polnischen Malerin Dorota Kobiela zusammenzuarbeiten, waren das Resultat eine Ehe – und ein enorm ambitioniertes Filmprojekt. Denn „Loving Vincent“kann sich rühmen, der erste Film zu sein, der aus animierten Ölgemälden besteht. 65 000 solcher Gemälde mussten dafür gemalt werden, die auf 77 Bildern von van Gogh basieren, von rund 40 weiteren wurden Ausschnitte verwendet.
Kriminalfall daraus gestrickt
Das Resultat ist ein beeindruckendes visuelles Erlebnis. Aber ist es auch ein guter Film geworden? Die Macher haben sich zumindest inhaltlich um einen neuen Zugang zum vielfach verfilmten Leben des niederländischen Malers bemüht. So inszenieren sie die letzten Wochen des an den Folgen einer Schusswunde verstorbenen van Gogh als eine Art Kriminalfall.
Als Ermittler wider Willen fungiert Armand Roulin, der von seinem Vater, einem Postmann und Freund des Künstlers, beauftragt wird, dessen letzten Brief an den Bruder Theo zuzustellen. Doch auch dieser ist mittlerweile verstorben, und so begibt sich Armand nach Auvers-surOise, wo van Gogh seine letzten Wochen verbracht hatte. Die Bewohner des Dorfes liefern ihm teils widersprüchliche Berichte über das Leben und den Geisteszustand des Malers. Eine zentrale Bezugsperson scheint der Arzt und Kunstfreund Dr. Gachet (Jerome Flynn) gewesen zu sein – doch der ist derzeit beruflich verreist. Und so durchstreift Armand die Orte, an denen Vincent gemalt, gelacht, getrunken, gelitten – und vielleicht sogar geliebt hat …
Neue Erkenntnisse über die genauen Ereignisse, die zu dem Tod des Künstlers geführt haben, will der Film nicht vermitteln. Die Herangehensweise ermöglicht es ihm aber, möglichst viele Landschaften und Figuren, die van Gogh gemalt hat, einzubinden. Als Kontrast werden zwischen den farbenfrohen Gemälden immer wieder animierte Rückblenden in Schwarz-Weiß eingefügt.
Die Figur des Armand wirkt auf Dauer eher unbeholfen-penetrant, eröffnet dem Zuschauer durch seine Ermittlungen aber immerhin einen Einblick in die Facetten des Falles. Und die Faszination des Filmes und der zugrundeliegenden Werke bleibt davon unbenommen. Zum Ende des sehenswerten Experiments erklingt dann passenderweise ein so originelles wie einflussreiches musikalisches Tribut an den Maler – „Vincent“(„Starry Starry night“) von Don McLean.
Loving Vincent. Regie: Dorota Kobiela und Hugh Welchman. Mit Douglas Booth, Chris O’Dowd, Saoirse Ronan. Großbritannien/ Polen 2017. 94 Minuten. FSK ab 6.