Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Razzia gegen die Mafia auch im Südwesten
Mehr als 160 Festnahmen in Italien und Deutschland – Strobl: „Ein wichtiger Schlag“
BERLIN/RAVENSBURG – Bei einer Razzia gegen die Mafiavereinigung 'Ndrangheta sind in Deutschland und Italien mehr als 160 Verdächtige festgenommen worden. In Deutschland wurden elf Männer im Alter von 36 bis 61 Jahren gefasst – betroffen waren Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen, wie das Bundeskriminalamt (BKA) am Dienstag in Wiesbaden mitteilte. Es geht unter anderem um Erpressung und Geldwäsche. Den italienischen Carabinieri zufolge wird gegen 169 Verdächtige wegen diverser krimineller Aktivitäten ermittelt.
Die Verhaftungen seien „ein wichtiger Erfolg gegen die Unterwanderung unserer Wirtschaft“, teilte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) mit. „Wir lassen es nicht zu, dass kriminelle Organisationen wie die 'Ndrangheta Deutschland als Rückzugs- und Investitionsraum nutzen.“Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) begrüßte die grenzüberschreitenden Aktionen gegen Mafiastrukturen. „Mit den heutigen Festnahmen und Durchsuchungen ist den Ermittlungsbehörden ein wichtiger Schlag gegen die organisierte Kriminalität gelungen“, sagte er am Dienstag der „Schwäbischen Zeitung“. „Kriminelle Organisationen kennen keine Landesgrenzen – umso wichtiger ist eine gute, grenzüberschreitende Zusammenarbeit unserer Strafverfolgungsbehörden. Wir müssen alles, alles tun, um den Aufbau und die Verfestigung krimineller Wirtschafts- und Handelszweige bei uns zu unterbinden.“
Bei der gemeinsamen Aktion der deutschen und italienischen Ermittlungsbehörden wurden in BadenWürttemberg vier Verdächtige festgenommen: zwei im Rems-MurrKreis, eine Person im Ortenaukreis und eine im Landkreis Reutlingen. Wie das Bundeskriminalamt mitteilt, reichen die einzelnen Strafvorwürfe von versuchtem Mord über Erpressung bis hin zu illegaler Verschiebung von Müll. Der Mafiaorganisation sei es gelungen, Einfluss auf bedeutende italienische Wirtschaftsund Handelszweige, wie zum Beispiel die Herstellung und den Verkauf von Fisch, Wein und Backwaren zu nehmen.
ROM - Bei verschiedenen Razzien der italienischen und deutschen Polizei gegen die organisierte Kriminalität sind im süditalienischen Kalabrien und in den deutschen Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und NRW rund 170 Personen verhaftet worden, elf davon in Deutschland. Das teilten italienische und deutsche Behörden nach der konzertierten Aktion am Dienstag mit. Die Razzien richteten sich gegen Angehörige der sogenannten ’Ndrangheta, jener Mafiaorganisation aus Kalabrien, die international zu den aktivsten und reichsten kriminellen Organisationen überhaupt gehört. Vorsichtigen Schätzungen der italienischen AntiMafia-Polizei setzen die Bosse der ’Ndrangheta jährlich rund zwei bis drei Milliarden Euro um.
Ziel der Razzien war in Deutschland vor allem der Clan Farao. Mitglieder dieser ’Ndrangheta-Familie sind vor allem in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern tätig. Dort versorgen sie zahlreiche Restaurants, Pizzerien und Geschäfte mit italienischen Produkten der Nahrungsmittelbranche und von Winzern. Den italienischen Ermittlern zufolge wurden während der Razzien in beiden Staaten Vermögenswerte in Höhe von rund 50 Millionen Euro beschlagnahmt.
Die Razzien werfen ein bezeichnendes und erschreckendes Licht auf den anscheinend nicht zu bremsenden kriminellen Vormarsch der ’Ndrangheta in Italien und auch in Deutschland. Familien dieser Mafia aus verschiedenen kalabresischen Ortschaften kontrollieren im norditalienischen Mailand einen Großteil der städtischen Versorgung mit Gemüse und Obst.
Seit Jahren versuchen italienische Staatsanwälte und die Polizei, einen entscheidenden Schlag gegen die ’Ndrangheta in Kalabrien zu setzen. Doch dieser Schlag blieb bisher aus, weil, wie der in Rom lehrende Mafiasoziologe Enzo Ciconte mitteilt, die Mafia „sozial und wirtschaftlich fest in der Region verankert ist und die Menschen, die dort leben, schweigen“.
Die Geschäftszweige der ’Ndrangheta sind sehr komplex. Sie reichen vom Eintreiben von Schutzgeldzahlungen, dem Handel mit Waffen und Drogen, mit illegal nach Italien eingeführten Lebensmitteln, die als „echt italienisch“auch auf den deutschen Markt gelangen, über Menschenschmuggel bis hin zur illegalen Entsorgung von Müll, darunter auch gefährlichen Sondermüll. Seit Jahren ermitteln Anti-Mafia-Staatsanwälte auch im Fall des Verdachts versenkter Frachtschiffe im Mittelmeer, die radioaktive Rückstände auch aus Deutschland enthalten sollen.
Den italienischen Ermittlern macht vor allem die immer engere Verquickung von Angehörigen der Clans mit amtierenden Politikern in Kalabrien zu schaffen. So befinden sich unter den in der Nacht auf Dienstag Verhafteten auch der Präsident der kalabresischen Provinz Crotone und drei Bürgermeister. Ihnen allen wird vorgeworfen, als aktive Mitglieder von Bossen ihre politischen Posten ausgenutzt zu haben. Die Ermittler sprechen von einer „invasiven Penetration krimineller Kräfte in weite Teile der kalabresischen Gesellschaft“, gegen die, so schreibt „la Repubblica“, „kein Kraut gewachsen zu sein scheint“.