Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Pendler in teuflischer Mission
„The Commuter“– Packender Thriller mit Liam Neeson als Held wider Willen
Ein Fahrzeug●als Schauplatz eines Thrillers ist nicht neu. In „The Commuter“wird ein Pendlerzug jedoch auf originelle Weise inszeniert – mit Liam Neeson als einem Hauptdarsteller in Höchstform.
Wie man in der Neuauflage von „Mord im Orient Express“jüngst beobachten konnte, kann sich ein Zug in einen wahren Mikrokosmos verwandeln. Der Regisseur Jaume Collet-Serra hat seinen Lieblingsdarsteller Liam Neeson schon 2014 in „Non-Stop“in ein Flugzeug verfrachtet, wo er als Flugsicherheitsbegleiter um Ruf und Leben kämpft. In „The Commuter“(auf Deutsch: Pendler) spielt er nun den Familienvater und Ex-Cop Michael MacCauley, der täglich mit einem Vorortzug nach New York fährt.
Eines Tages wird ihm seine Ohnmacht gleich doppelt vor Augen geführt. Zuerst verliert er seinen Job bei einer Versicherung. Dann setzt sich auf der Rückfahrt in die Vorstadt auch noch eine Frau namens Joanna zu ihm und beginnt ein Gespräch.
Vera Farmiga versteckt das Maliziöse ihrer Figur hinter einer freundlichen, sanft verführerischen, fast unsicher wirkenden Allerweltsfassade. Doch was sie anzubieten hat, ist teuflisch: Dem frisch Entlassenen winkt Geld, viel Geld sogar. Alles, was er dafür tun muss, ist eine Person ausfindig zu machen und mit einem GPSGerät zu markieren, bevor diese den Zug verlässt.
Mit MacCauleys moralischem Dilemma beschäftigen sich die Drehbuchautoren Byron Willinger und Philip de Blasi nur kurz, womöglich zu kurz. Joanna und die, die mit ihr und für sie die Fäden ziehen, schaffen schnell Fakten. Die Familie des Pendlers wird bedroht. Ein befreundeter Mitfahrer, dem MacCauley eine heimliche Nachricht zukommen lässt, wird kurz nach dem Aussteigen vor einen Bus gestoßen. Anscheinend hat Joanna ihre Augen und Hände überall. Ihre Stimme, die jetzt durchs Telefon bellt, wird herrisch. Also macht McCauley sich auf die Suche, um eine Person zu retten oder zu verdammen.
Dieser Michael MacCauley ist trotz seiner Polizeierfahrung ein untypischer Held für Liam Neeson: kein Profi, eher ein Büromensch. Seinen Weg durch den Zug, seine Begegnungen intensiviert die Inszenierung mit suggestiven Zooms, mit langen, auch hektischen Kamerafahrten.
Vor allem aber ist der Film ein Triumph für den Szenenbildner Richard Bridgland und den Kameramann Paul Cameron. Da die Metropolitan Transit Authority weder ein Schienenfahrzeug noch ihr Streckennetz für die Dreharbeiten zur Verfügung stellen wollte, wurde das gesamte Set im Studio nachgebaut. Das Ergebnis ist beeindruckend: eine alte, rumpelnde Eisenbahn aus fleckigem Stahl, die knirscht und rattert und deren graue Düsternis immer wieder schlaglichtartig vom warmen Licht eines Sommernachmittags erhellt wird, sobald der Zug den Untergrund New Yorks verlassen hat.
Am Ende steht die vollständige Eskalation eines Paranoia-Thrillers, ohne dass das Geschehen dadurch zerfasern würde. Das ist dem souveränen Rhythmus des Drehbuchs und der dynamischen Inszenierung zu verdanken. Collet-Serra holt das Beste aus der narrativen Prämisse, die auf seltsame Weise schon als Standardsituation mit dem Körper von Liam Neeson verschmolzen zu sein scheint. (KNA)
The Commuter. Regie: Jaume Collet-Serra. Mit Liam Neeson, Vera Farmiga, Sam Neill. USA 2017. 105 Minuten. FSK ab 12.