Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Fisch am Fuß
Lachs, Karpfen oder Dorsch nach Maß – Die bayerische Traditions-Schuhmacherei Koppitz fertigt edle Schuhe aus Fischleder
Perlrochenleder ist zum Beispiel 20-mal strapazierfähiger als Rindsleder. Florian Koppitz über die Vorzüge der Fischhaut
Das Mitbringsel aus dem letzten Urlaub wartet noch in der Tiefkühltruhe auf seine Weiterverarbeitung. Es ist die schuppige Haut eines Dorschs, den Florian und Michael Koppitz in Norwegen gefangen und in die Pfanne gehauen haben. Die Brüder aus Grafing bei München sind begeisterte Hobbyangler. Aber auch im Alltag ist Fisch ihr täglich Brot. Denn die Geschwister fertigen Schuhe nach Maß – aus Lachs, Seewolf, Papageienfisch, Karpfen und vielleicht auch bald aus Dorsch. Und um es gleich vorwegzunehmen: Nein, das handgenähte Schuhwerk riecht nicht nach Fisch.
Fischleder ist längst ein LifestyleProdukt in der Mode oder auch in der Inneneinrichtung. Renommierte Designer experimentierten damit, Michael Michalsky, Stuart Weitzman, Walter Knoll, Strenesse, Paul Smith und Givenchy.
Und vor fünf Jahren entdeckten auch die Handwerker aus Grafing bei München den besonderen Reiz des Fischleders – das Experiment zahlte sich aus. Seit die Schuhe mit Fischlederbesatz mit dem Bayerischen Staatspreis für hervorragende innovative Leistungen im Handwerk ausgezeichnet wurden, interessieren sich Kunden aus ganz Deutschland für die Modelle mit der außergewöhnlichen Struktur.
Innovatives Handwerk
Davor war es in der zur Werkstatt umfunktionierten Küche über dem Schuhgeschäft der Familie lange Zeit sehr ruhig. „Statt Schuhe reparieren zu lassen, wurden einfach billig neue gekauft. Das war das Resultat der Wegwerfgesellschaft“, erinnert sich Vater Walter Koppitz. Inzwischen werden unter dem etwas verblichenen Gruppenfoto von Uropa, Großvater und Papa an der Wand nicht nur wieder mehr Absätze gerichtet und Sohlen verklebt.
Es werden jährlich auch rund 45 Paar Maßschuhe in Handarbeit gefertigt. Zehn Monate beträgt die Wartezeit. In den Regalen stapeln sich Holzleisten. Fischhäute lagern in Papierkisten. Klebergeruch erfüllt den kleinen Raum.
Michael, 22, und Florian, 27, wirken in ihren Lederschürzen zwischen den alten Maschinen und Werkbänken wie aus der Zeit gefallen. Sie sind die fünfte Generation von Schuhmachern in der Familie. Dank ihrer innovativen Idee erlebt das Handwerk ein Revival. Dabei hatten die Brüder anfangs gar nicht daran gedacht, das Leder aus dem Wasser für die Schuhproduktion zu verwenden. Im Internet sind sie zufällig auf einen Händler gestoßen, der Fischhaut anbietet.
„Das fanden wir kurios und haben einfach mal ein paar Häute bestellt, um zu sehen, wie sich das überhaupt anfühlt“, sagt Florian Koppitz. Doch dann stand die Handwerksmesse an. „Wir wurden gefragt, was wir Besonderes an unserem Stand zeigen könnten.“So nahm das Projekt „Fischschuh“seinen Lauf.
Es wurde experimentiert. Was funktioniert? Wo setzt man das Fischleder ein? „Mal warf das Leder Falten, mal riss es bei der Verarbeitung.“Doch irgendwann war das Resultat preisverdächtig.
Zwischen drei Tagen und einer Woche brauchen die Brüder für die Anfertigung eines Paares. Besonders begehrt sind die Unikate aus dem mal grünlich, mal beige, mal blau schimmernden Leder – wen wundert es – bei Fischern. „Sie haben schließlich einen ganz besonderen Bezug zum Produkt“, sagt Florian Koppitz.
Das exklusive Schuhwerk hat seinen Preis: Mindestens 1200 Euro kosten die Modelle. „Manche sparen ganz gezielt darauf hin“, sagt Walter Koppitz. „Es sind jedenfalls keine Promis, die hier vorbeischauen, sondern Leute, die sich auch einen Schrank beim Schreiner machen lassen, die ein Werteverständnis haben, denen Nachhaltigkeit und Langlebigkeit wichtig sind“, erklärt Sohn Florian. Bei guter Verarbeitung ist Fischleder weich, elastisch und sehr haltbar. „Perlrochenleder ist zum Beispiel 20-mal strapazierfähi- ger als Rindsleder.“Die meisten anderen Fischhäute sind vergleichbar mit einem dünnen, weichen Leder.
Schuppen haben die Häute übrigens nicht mehr – dafür aber die individuelle Maserung. Seewolf hat beispielsweise eine an Haarporen erinnernde Oberfläche, Barsch die typische Schuppenstruktur und Stachelrochen harte Perlkuppen. „Für die Pflege reicht farblose Schuhcreme“, sagt der 27-Jährige.
Meist werden nur die Seitenteile aus den Tierhäuten gefertigt. „Für einen ganzen Schuh kann nur der Perlrochen hergenommen werden, der ist stabil genug“, sagt der Vater. Selten reicht eine Fischhaut aus. „Wenn wir mit Barsch arbeiten, brauchen wir mindestens vier.“
Die Koppitz‘ ziehen den Seewolf für den Besatz ihrer rahmengenähten Oxfords oder den Lachs für die Biopantoffeln normalerweise nicht selbst aus dem Wasser. „Aber wir wissen im Idealfall, wo er geschwommen ist“, sagt Florian Koppitz. Die Rohhaut für das Störleder kommt etwa vom renommierten Züchter Walter Grüll aus Salzburg, der Kaviar weltweit verkauft.
Verarbeitet und eingefärbt wird die Haut in Landshut. „Der Gerber ist auf uns zugekommen und wir haben uns zusammen so weit vorgetastet, bis das robuste Leder weich genug zur Verarbeitung war“, sagt Florian Koppitz und streicht über die für den Stör typischen Knochenplatten der Haut. „Es gibt leider immer weniger kleine Gerber, da die Umweltauflagen hoch sind und sie eine eigene Kläranlage brauchen.“
Wer sich für einen Fisch am Fuß interessiert, muss drei Termine einplanen. Zuerst wird der Kunde im Laden vermessen, das Leder ausgesucht und das Modell besprochen. „Meist kommen Männer zu uns. Wir haben aber auch schon Frauensandalen aus Fischleder gemacht“, so Michael Koppitz.
Spannende Millimeterarbeit
Ein Stock höher wird dann der Holzleisten an die individuelle Zehenform und das Fußgewölbe angepasst. Das ist Millimeterarbeit. „Es ist immer spannend, wenn der Kunde zur ersten Probe kommt und den Kunststoffschuh anzieht, den wir vorneweg machen. Drückt es irgendwo, muss nachgebessert werden.“Danach wird am Maßleisten der Schnitt für den Schaft erstellt.
Routine ist bei den unzähligen Arbeitsschritten unerlässlich. Etwa, wenn mit heißem Pechdraht Laufsohle, Zwischensohle, Brandsohle und Rahmen mit dem Schaft vernäht werden. „Da muss man schon schnell sein“, sagt Florian. Ausgelernt habe er aber noch lange nicht. „Ich kann mich immer noch weiter verbessern.“Und sollte es ihm und seinem Bruder doch mal langweilig werden, wäre da ja noch ein Dorsch in Mamas Tiefkühltruhe.