Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Hauch von Flugzeug im Auto-Cockpit
ZF zeigt mit dem „Concept 2020“, wie sich der Konzern die Zusammenarbeit von Menschen und Auto vorstellt
FRIEDRICHSHAFEN - Wer schon mal mit einem Mietwagen unterwegs war, der kennt das Problem: einsteigen, anlassen, wundern. Und zwar über das Piepen und Blinken von allerlei Assistenzsystemen, die der unbedarfte Fahrer nicht kennt und anfangs auch nicht versteht. Das muss nicht sein, meinen ZF-Ingenieure und setzen das „Concept 2020“dagegen, ein Pkw-Cockpit, das einfach und intuitiv zu bedienen ist.
Es sieht noch aus wie ein Auto, auch wenn man bei einem Blick ins „Concept 2020“unwillkürlich ans Raumschiff Enterprise denken muss. Die Außenspielgel sind innen befestigt und übertragen Kamerabilder, das Automatikgetriebe wird über einen Touchscreen bedient, dem Lenkrad fehlt das obere und das untere Viertel. Mit dem Rad steuert man nicht nur das Auto, man bedient dort auch per linkem Daumen (oder Sprachsteuerung) alle Assistenzsysteme, per rechtem Daumen den Rest, also Musikanlage, Navi oder Telefon. Kameras, Radar- und Lidartechnik ermöglichen dem System einen 360Grad-Blick rund um das Fahrzeug.
Die eigentliche Innovation des „Concept 2020“liegt aber in der Vernetzung. „Wir wollten eine Vereinfachung und eine Zusammenfassung der verschiedenen Funktionen“, sagt Uwe Class, der das Projekt leitet. Ziel: Der Autofahrer soll alle Funktionen seines Fahrzeugs intuitiv verstehen und bedienen können, ohne Handbuch, ohne Vorkenntnisse, ohne Einarbeitungszeit.
Optischer Mittelpunkt des „Concept 2020“ist ein großer Bildschirm oberhalb des Lenkrads. Der Fahrer kann entscheiden, welche Perspektive er dort wünscht, vom Vogel- bis zum Froschblick. Alle Warn- und Sicherheitshinweise werden hier vermeldet, das System sagt auch, wenn es notbremst oder einen Spurwechsel aus Sicherheitsgründen stoppt. „Flugzeugpiloten kennen bildhafte Darstellungen schon seit fast 100 Jahren und nutzen das Prinzip bis heute“, sagt Class. „Was ihnen beim Erfassen der enormen Informationsmenge hilft, soll in Zukunft auch Autofahrern zu Gute kommen.“
Wichtiger Punkt der Darstellung auf dem Display: ein Oval von bis zu drei grauen Linien rund um das Auto, das ZF „Active Vehicle Aura“(AVA) nennt. Die Zahl der Linien zeigt die Empfindlichkeit aller nun zusammengefassten Sicherheitssysteme: Je mehr Ringe, desto schneller und sanfter reagiert die Technik ein. Droht von vorne oder der Seite Gefahr, verbiegen und verfärben sich die Linien, lange bevor das Auto aktiv eingreift. Die Empfindlichkeit regelt der Fahrer. „Alle Assistenzsysteme eines Fahrzeugs folgen dann einer Philosophie“, erklärt Class.
Der Sicherheitsgurt hilft mit
Auch die Sicherheitsgurte tragen ihren Teil bei. Sie können den Fahrer durch leichtes Ziehen oder Vibrieren auf Gefahren aufmerksam machen. Ist ein Unfall unvermeidlich, ziehen sie die Insassen ziemlich kompromisslos in die Position, die im Falle eines Falles noch die beste ist. Sogar die Innenbeleuchtung wird genutzt. Läuft alles rund, bewegt sie sich im (ZF-)blauen Bereich. Droht Gefahr, wird’s rötlich.
„Mensch mehr in Mittelpunkt“
Hinter all den Entwicklungen und Entwürfen steht laut ZF die Überzeugung, dass die Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Fahrer bislang zu wenig beleuchtet worden ist. „Wir müssen den Menschen mehr in den Mittelpunkt rücken“, sagt Uwe Class. Nur wenn der Fahrer seinem Auto und der darin eingebauten Technik vertraut und mit ihr umgehen kann, lässt er sich voll und ganz auf die Segnungen moderner Sicherheits- und Assistenzsysteme ein. Je einfacher und intuitiver das zu machen sei, desto größer sei das subjektive Sicherheitsempfinden des Menschen, sagt der Ingenieur.
Die Fäden des Projekts sind im Forschungs- und Entwicklungszentrum der ZF in Friedrichshafen zusammengelaufen. Mitgearbeitet haben aber auch Kollegen vieler anderer Standorte, etwa in Alfdorf, Düsseldorf, Koblenz oder in den USA. Bislang ist das Konzept nur in einem Fahrsimulator zu bestaunen, der erstmals auf der Digitalmesse CES zu Jahresbeginn in Las Vegas zu sehen war. Teile des „Concept 2020“sind schon in Serienproduktion, etwa der Gurtstraffer ACR oder der automatische Schlossbringer ABL, der einem beim Einsteigen entgegenkommt und so lästiges Suchen beim Anschnallen verhindern soll. Andere Elemente müssen noch an mögliche Anforderungen konkreter Kunden angepasst werden.
Nachfolger schon in Arbeit
Im Moment ist der Fahrsimulator „Concept 2020“auf Tour an verschiedene ZF-Standorte. Sein Nachfolger ist schon in Arbeit. Der soll auf der CES 2019 zu sehen sein und auf der nächsten Automobilmesse IAA in Frankfurt im kommenden Jahr.