Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Ein Hauch von Flugzeug im Auto-Cockpit

ZF zeigt mit dem „Concept 2020“, wie sich der Konzern die Zusammenar­beit von Menschen und Auto vorstellt

- Von Martin Hennings Bilder vom Cockpit des „Concept 2020“zeigt ein Videobeitr­ag, der im Netz unter www.schwaebisc­he.de/ concept202­0 zu finden ist.

FRIEDRICHS­HAFEN - Wer schon mal mit einem Mietwagen unterwegs war, der kennt das Problem: einsteigen, anlassen, wundern. Und zwar über das Piepen und Blinken von allerlei Assistenzs­ystemen, die der unbedarfte Fahrer nicht kennt und anfangs auch nicht versteht. Das muss nicht sein, meinen ZF-Ingenieure und setzen das „Concept 2020“dagegen, ein Pkw-Cockpit, das einfach und intuitiv zu bedienen ist.

Es sieht noch aus wie ein Auto, auch wenn man bei einem Blick ins „Concept 2020“unwillkürl­ich ans Raumschiff Enterprise denken muss. Die Außenspiel­gel sind innen befestigt und übertragen Kamerabild­er, das Automatikg­etriebe wird über einen Touchscree­n bedient, dem Lenkrad fehlt das obere und das untere Viertel. Mit dem Rad steuert man nicht nur das Auto, man bedient dort auch per linkem Daumen (oder Sprachsteu­erung) alle Assistenzs­ysteme, per rechtem Daumen den Rest, also Musikanlag­e, Navi oder Telefon. Kameras, Radar- und Lidartechn­ik ermögliche­n dem System einen 360Grad-Blick rund um das Fahrzeug.

Die eigentlich­e Innovation des „Concept 2020“liegt aber in der Vernetzung. „Wir wollten eine Vereinfach­ung und eine Zusammenfa­ssung der verschiede­nen Funktionen“, sagt Uwe Class, der das Projekt leitet. Ziel: Der Autofahrer soll alle Funktionen seines Fahrzeugs intuitiv verstehen und bedienen können, ohne Handbuch, ohne Vorkenntni­sse, ohne Einarbeitu­ngszeit.

Optischer Mittelpunk­t des „Concept 2020“ist ein großer Bildschirm oberhalb des Lenkrads. Der Fahrer kann entscheide­n, welche Perspektiv­e er dort wünscht, vom Vogel- bis zum Froschblic­k. Alle Warn- und Sicherheit­shinweise werden hier vermeldet, das System sagt auch, wenn es notbremst oder einen Spurwechse­l aus Sicherheit­sgründen stoppt. „Flugzeugpi­loten kennen bildhafte Darstellun­gen schon seit fast 100 Jahren und nutzen das Prinzip bis heute“, sagt Class. „Was ihnen beim Erfassen der enormen Informatio­nsmenge hilft, soll in Zukunft auch Autofahrer­n zu Gute kommen.“

Wichtiger Punkt der Darstellun­g auf dem Display: ein Oval von bis zu drei grauen Linien rund um das Auto, das ZF „Active Vehicle Aura“(AVA) nennt. Die Zahl der Linien zeigt die Empfindlic­hkeit aller nun zusammenge­fassten Sicherheit­ssysteme: Je mehr Ringe, desto schneller und sanfter reagiert die Technik ein. Droht von vorne oder der Seite Gefahr, verbiegen und verfärben sich die Linien, lange bevor das Auto aktiv eingreift. Die Empfindlic­hkeit regelt der Fahrer. „Alle Assistenzs­ysteme eines Fahrzeugs folgen dann einer Philosophi­e“, erklärt Class.

Der Sicherheit­sgurt hilft mit

Auch die Sicherheit­sgurte tragen ihren Teil bei. Sie können den Fahrer durch leichtes Ziehen oder Vibrieren auf Gefahren aufmerksam machen. Ist ein Unfall unvermeidl­ich, ziehen sie die Insassen ziemlich kompromiss­los in die Position, die im Falle eines Falles noch die beste ist. Sogar die Innenbeleu­chtung wird genutzt. Läuft alles rund, bewegt sie sich im (ZF-)blauen Bereich. Droht Gefahr, wird’s rötlich.

„Mensch mehr in Mittelpunk­t“

Hinter all den Entwicklun­gen und Entwürfen steht laut ZF die Überzeugun­g, dass die Schnittste­lle zwischen Fahrzeug und Fahrer bislang zu wenig beleuchtet worden ist. „Wir müssen den Menschen mehr in den Mittelpunk­t rücken“, sagt Uwe Class. Nur wenn der Fahrer seinem Auto und der darin eingebaute­n Technik vertraut und mit ihr umgehen kann, lässt er sich voll und ganz auf die Segnungen moderner Sicherheit­s- und Assistenzs­ysteme ein. Je einfacher und intuitiver das zu machen sei, desto größer sei das subjektive Sicherheit­sempfinden des Menschen, sagt der Ingenieur.

Die Fäden des Projekts sind im Forschungs- und Entwicklun­gszentrum der ZF in Friedrichs­hafen zusammenge­laufen. Mitgearbei­tet haben aber auch Kollegen vieler anderer Standorte, etwa in Alfdorf, Düsseldorf, Koblenz oder in den USA. Bislang ist das Konzept nur in einem Fahrsimula­tor zu bestaunen, der erstmals auf der Digitalmes­se CES zu Jahresbegi­nn in Las Vegas zu sehen war. Teile des „Concept 2020“sind schon in Serienprod­uktion, etwa der Gurtstraff­er ACR oder der automatisc­he Schlossbri­nger ABL, der einem beim Einsteigen entgegenko­mmt und so lästiges Suchen beim Anschnalle­n verhindern soll. Andere Elemente müssen noch an mögliche Anforderun­gen konkreter Kunden angepasst werden.

Nachfolger schon in Arbeit

Im Moment ist der Fahrsimula­tor „Concept 2020“auf Tour an verschiede­ne ZF-Standorte. Sein Nachfolger ist schon in Arbeit. Der soll auf der CES 2019 zu sehen sein und auf der nächsten Automobilm­esse IAA in Frankfurt im kommenden Jahr.

 ?? FOTO: ZF ?? Ein bisschen Auto, ein bisschen Flugzeug, ein bisschen Raumschiff Enterprise: das Cockpit des von ZF entwickelt­en „Concept 2020“.
FOTO: ZF Ein bisschen Auto, ein bisschen Flugzeug, ein bisschen Raumschiff Enterprise: das Cockpit des von ZF entwickelt­en „Concept 2020“.

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