Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
8743 Kilometer im Sattel: Drahteselseeradler wieder daheim
„Man braucht nicht so viel“: Luca Dilger und Adrian Schmidt lassen 158-tägige Radreise durch 17 Länder Revue passieren
GERBERTSHAUS/TETTNANG - Viel erlebt haben Luca Dilger und Adrian Schmidt, die Drahteselseeradler, wie sie sich nennen. Nach 8743 Kilometern im Sattel sind die beiden 19-Jährigen seit Kurzem wieder daheim in Tettnang respektive Gerbertshaus. Im Gespräch mit der SZ ließen sie die 158-tägige Reise durch 17 Länder Revue passieren – mit dem Kernsatz: „Wir können es jedem nur empfehlen, der sich abseits des konventionellen Reisens bewegen und Kontakte zu den Einheimischen haben will.“
Was speziell dem „Drahtesel“als Fortbewegungsmittel zu verdanken ist, denn: „Mit dem Rad haben wir das richtige Tempo, um viel zu sehen und zu erleben“, sagen Luca Dilger und Adrian Schmidt, die dieses Jahr in Tettnang Abitur gemacht haben. Als begeisterter Mountainbiker (Schmidt) und ausgezeichneter Mehrkampfturner (Dilger) waren sie sich einig, zunächst auf dem Donauradwanderweg zu verbleiben und nicht zu weit voraus zu planen. „Man ist spontaner und unabhängiger“, sehen sie sich im Nachhinein bestätigt.
Zwei Komponenten zogen sich durch die 158 Tage: Zum einen war dies die Übernachtung im Zelt, die sich großteils durchhalten ließ. „Wir haben nicht einmal für die Übernachtung gezahlt“, können sie sagen.
Was fürs zweite große Ziel ein wichtiger Baustein war - nämlich den Vorsatz, mit möglichst wenig Geld auszukommen. Sechs Euro je Person und Tag hatten sie sich zum Ziel gesetzt, mit je vier sind sie über die Runden gekommen. „Es hat sich bewahrheitet: Man braucht nicht so viel“, nehmen sie als wichtige Erkenntnis mit, die für den Bodensee als Heimat heißt: „Wir leben in einer privilegierten Region.“
Die einfache Art des Reisens hatte einen willkommenen Nebeneffekt stimmte sie doch die Einheimischen offener, sind Adrian und Luca überzeugt. Neugier spielte auch herein, wenn zwei junge Männer – ausgestattet mit 30 Kilo Gepäck und 20 Kilo Fahrrad – durchs Land radelten. Dass sie die 50 Kilometer Tagespensum der ersten Wochen auf Spitzenwerte von mehr als 100 Kilometer am Tag steigerten, hängt sicherlich mit Gewöhnung und Kondition, aber auch mit den Ebenen in Italien, Spanien und Portugal zusammen.
„Schöne landschaftliche Bilder“sind es denn auch, die beiden in Erinnerung bleiben - ergänzt jedoch um das Wissen, dass sich zu mancher malerischen Aussicht aufs Meer ein Blick den Hang hinunter gesellt, der voll Müll gepflastert ist.
Gut im Gedächtnis: die vielfach tiefgehenden menschlichen Erfahrungen und die Gastfreundschaft. Gerade die Erlebnisse in Osteuropa wirken in Luca Dilger und Adrian Schmidt nach: „Wissen aus erster Hand“sammelten sie reichlich. Auf jenes um die „Hundeproblematik“hätten sie gern verzichtet: Vor aggressiven Vierbeinern Reißaus zu nehmen, gehörte in Rumänien und Bulgarien dazu.
Dem Symbolwörterbuch sei Dank
Ebenfalls neu war, dass in Osteuropa – wie in der Türkei – die Verständigung auf Deutsch oft besser klappte als auf Englisch. Und wenn dies nicht half, zückten die beiden „Langenscheidts Symbolwörterbuch“oder die mitgeführte Karte mit ihrer Route, über die sich schnell Verbundenheit schaffen ließ.
Die haben sie speziell in der Gemeinschaft der Radreisenden kennen und schätzen gelernt, für die sinnbildlich und lebenspraktisch die App „warmshowers“steht. Die Tipps und Übernachtungsangebote waren von hohem Wert – so eindrücklich gar, dass Adrian und Luca hoffen, später einmal solche Hilfen zurückgeben zu können.
Und was haben sie am meisten vermisst? Die Familie und die Freunde nennen sie zuvorderst. Aber auch der Alltagsluxus ist ihnen bewusster geworden – in Gestalt einer Dusche oder des Kühlschranks. Nicht vermissen werden sie den Gedanken: „Wo schlafen wir am Abend?“
Gerade dabei spielte natürlich das Wetter eine wichtige Rolle. Und so gestehen sie denn auch zu ihrer vornehmlich sonnigen Bilderauswahl auf Instagram: „Das zeigt nicht ganz die Wahrheit.“Auf 25 Prozent schätzen sie die Regentage, was sie angesichts der Jahreszeit zugleich sagen lässt: „Wir hatten eher noch Glück.“
Äußerst dankbar sind sie der Meckenbeurer Firma Saikls als Sponsor. „Wie wichtig gute Räder sind“, haben sie immer wieder gemerkt. Auf 8743 Kilometern spielt aber trotzdem der Verschleiß eine Rolle, und wenngleich beide von „relativ wenigen technischen Problemen“berichten, sagen sie doch auch augenzwinkernd: „Momentan könnten wir ohne größere Schwierigkeiten in einem Fahrradladen als Monteure anfangen.“
Budget wieder auffüllen
Was sie aber nicht vorhaben. Erst einmal steht „Jobben“auf dem Plan, ehe es aufs Wintersemester hin zum Studium gehen soll. Dann trennen sich ihre Wege, wenn alles klappt nach Heidelberg und Karlsruhe. Eine Distanz von 283 Kilometern wäre das, die sich mit dem Rad in drei Tagen überwinden ließe, um Erinnerungen an 158 spannende Tage aufleben zu lassen.