Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Bodybuilder schmuggelt Dopingmittel nach Lindau
Bei der Verhandlung vor dem Landgericht Kempten wird klar: Doping ist in der Szene normal
LINDAU/KEMPTEN (jule) - Über Jahre hinweg hatte er sich gedopt – und zwar in Dosen, die dem Gutachter die Haare zu Berge stehen ließen. Bei der Verhandlung am Kemptener Landgericht war von dem einst stärksten Mann Österreichs allerdings nicht mehr viel übrig. Wie ein Häufchen Elend saß er in der Anklagebank, bereit, auszupacken: über die Bodybuilding-Szene, in der Doping offenbar das Normalste der Welt ist. Und darüber, dass er in Lindau mit Dopingmitteln gehandelt hatte.
Während der Berufungsverhandlung flossen bei dem Angeklagten immer wieder die Tränen. Schließlich ging es darum, ob er die Gefängnisstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten, zu der ihn das Lindauer Amtsgericht im Herbst verurteilt hatte, antreten muss oder nicht. Sowohl sein Anwalt als auch die Staatsanwaltschaft hatten gegen das Urteil Berufung eingelegt. Dem einen war es zu hart, dem anderen offenbar zu weich.
Sichtlich mitgenommen erzählte der ehemalige Bodybuilder seine Geschichte. Bereits als Kind habe er angefangen zu trainieren, sein Opa sei sein größtes Vorbild gewesen. „Ich war früher sehr schwach.“Mit 15 sei er bereits täglich im Fitness-Studio gewesen, mit 16 habe er Leute kennengelernt, die ihm erklärt hätten: „Wenn Du nicht die genetischen Voraussetzungen hast, musst Du eben dopen.“
Regelrecht manisch begann der junge Mann, Unmengen an Fleisch in sich hineinzustopfen, bis zu 2,5 Kilo am Tag. „Wenn ich nicht mehr essen konnte, dann habe ich das Fleisch eben püriert.“Zusätzlich konsumierte er Wachstumshormone, Insulin und Testosteron. Trotzdem reichte es beim Bodybuilding-Wettkampf nur für den zweiten Platz.
Für den Angeklagten bedeutete diese Niederlage: weiter essen – und weiter dopen. Schließlich wollte er unbedingt einmal einen StrongmanWettbewerb gewinnen. Nie habe es bei einem Wettkampf eine DopingKontrolle gegeben. „Es gibt keine sauberen Athleten, jeder ist zu 100 Prozent voll“, erklärte er. Irgendwann schaffte er es tatsächlich zum Titel „stärkster Mann Österreichs“.
Seine Doping-Mittel hatte sich der Angeklagte aus Polen oder der Slowakei bestellt und unter falschem Namen an einen Paketshop in Lindau liefern lassen. Denn dort habe keiner einen Ausweis von ihm verlangt. Mit seinen Lieferungen versorgte der Angeklagte auch andere Bodybuilder-Kollegen aus Lindau, Weißensberg und Opfenbach – bei 100 Prozent Preisaufschlag. „Ich wollte, dass sie eine gute Quelle haben.“
Als ihn irgendwann ein Bekannter fragte, ob er auch seine Doping-Sendungen aus Griechenland im Lindauer Paketshop annehmen, neu verpacken und nach Italien weiterverschicken würde, willigte der Angeklagte ein. Pro Paket kassierte er 400 Euro oder den Gegenwert in Doping-Präparaten.
Der Doping-Schmuggel flog auf, als der Bonner Zoll im Juni 2016 ein Paket des Angeklagten kontrollierte. „Darauf war die Adresse der Postagentur“, erzählte ein Zollfahnder vor Gericht. Die Inhaberin des Lindauer Paketshops erkannte den Namen auf dem Paket, den es in Wirklichkeit gar nicht gab. Im Dezember, als wieder zwei Pakete für das Alias bereit lagen, informierte sie die Beamten, die den Angeklagten auf frischer Tat ertappten. In der Wohnung des Angeklagten fanden die Fahnder dann 26 000 Euro in bar, verdächtige Kontoauszüge – und unfassbar viel Doping. Unter den 20 verschiedenen Präparaten seien auch seltene, ältere und hochwertige Substanzen gewesen, wie ein Gutachter erklärte. „Die findet man nicht so oft.“Insgesamt habe man bei dem Angeklagten 600 Gramm Testosteron gefunden. „Das reicht für zwölf Jahre Missbrauch“, so der Gutachter, der vermutete, dass dahinter eine größere Anzahl an Konsumenten steckte.
Der Angeklagte beteuerte allerdings, dass er einfach extrem viel konsumiert habe: Während man bei einem Gramm Testosteron pro Woche schon von Missbrauch spricht, habe er sich sechs Gramm pro Woche zugeführt. „Ich saß manchmal auf meinem Sofa daheim und habe mir eine Aminosäure-Glukose-Infusion gesetzt. Wer macht sowas?“, fragte er verzweifelt.
Verkleinerte Hoden und Leberschäden
Seitdem er aufgeflogen war, hatte der Angeklagte nichts mehr konsumiert – und innerhalb von zwei Monaten 25 Kilo abgenommen. Trotzdem: Mit den Nebenwirkungen von 18 Jahren Doping wird er noch eine Weile leben müssen. „Die Hoden werden verkleinert, es kann zu Haarausfall, Hautstörungen und übermäßiger Körperbehaarung kommen“, erklärte der Gutachter. Außerdem sei die Leber des Angeklagten höchst wahrscheinlich geschädigt und sein Herz auf ein vielfaches seiner ursprünglichen Größe angewachsen. „Ich habe den größten Fehler meines Lebens gemacht“, beteuerte der Angeklagte, der dem Kraftsport mittlerweile ganz den Rücken gekehrt hat, immer wieder unter Tränen. Weil er von Anfang an geständig gewesen war, das Doping nicht aus reinem Gewinnstreben verkauft hatte und mittlerweile in anderen Fällen Aufklärungshilfe geleistet hatte, nahm die Kammer einen minderschweren Fall an und änderte das Urteil des Lindauer Amtsgerichts ab: Anstelle der Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilten sie ihn zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und einer Geldbuße von 6000 Euro. Sichtlich erleichtert nahm der Angeklagte das Urteil an. Die Staatsanwaltschaft München kündigte an, über eine Revision nachzudenken.