Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Etwas normaler als die Diva
Mercedes erwartet einen Dreikampf und ist mit dem F1 W09 und einem hungrigen Lewis Hamilton bestens gerüstet
Die Zahlen bringen keine Zehntelsekunden, beeindruckend sind sie sehr wohl: 79 Rennen ist die Formel 1 seit 2014 gefahren, 63 hat Mercedes gewonnen. 71-mal stand ein Bolide der schwäbisch-britischen PS-Schmiede auf der Pole-Position, 122 Podiumsplätze (von 158 maximal möglichen) weist die Statistik für Lewis Hamilton, Nico Rosberg und dessen Nachfolger Valtteri Bottas aus. Macht, man weiß es, vier Fahrer- und vier Konstrukteurstitel. Macht für 2018, für die am Sonntag (7.10 Uhr/RTL) in Melbourne beginnende Saison natürlich: den Favoritenstatus. Auf dem Papier. Auf der Strecke erwartet Toto Wolff, Teamchef und Geschäftsführer von Mercedes-AMG Petronas Motorsport, „einen vielversprechenden Dreikampf zwischen Ferrari, Red Bull und uns“. Understatement?
Jein. Acht Wintertesttage hat es seit Ende Februar auf Barcelonas Circuit de Catalunya gegeben, einer fiel dem spanischen Schneefall zum Opfer. Blieben sieben – und 2122 gefahrene Kilometer für den MercedesAMG F1 W09 EQ Power+ mit Lewis Hamilton am Lenkrad; 2718 Kilometer bewegte Valtteri Bottas sein diesjähriges Sportgerät. 1040 Runden Barcelona sind eine Größe, die durchaus Schlüsse zulässt – über die eigene Stärke. Schwerer fällt der Vergleich mit Konkurrenz, zu viele Unbekannte gibt es da: Benzinmenge, Reifenwahl, zurückgehaltene Aerodynamik-Updates und, und, und.
Also sind Testzeiten mit Vorsicht zu genießen. Toto Wolff betont denn auch, dass Mercedes, Red Bull und Ferrari „über eine Runde auf einer Höhe“seien. Die Rennsimulationen, bei denen der Abstand bei je Umlauf einer Sekunde gelegen hat, bei denen der Silberpfeil auf alten Pneus schneller (!) war als die Gegenspieler auf frischen, sieht der 46-jährige Wiener differenzierter. Spricht von einer „guten Kilometerzahl mit dem neuen Auto“, nennt auch die Zuverlässigkeit „gut“, weist aber auch darauf hin, dass „viele Komponenten noch nicht einmal annähernd“an die Lebensdauer herangekommen seien, „die sie während der Saison zurücklegen müssen“.
Weniger Power-Units je Fahrer lässt das technische Regelwerk 2018 zu; größte Herausforderung für die Mercedes-Motorenmacher um Andy Cowell war es, die Nutzungsspanne von Energierückgewinnungssystemen, Turbolader und Verbrennungsmotor – bei unveränderter Standfestigkeit – zu erhöhen. Um 40 Prozent, rechnet Andy Cowell vor, „ohne dabei an Performance zu verlieren“. Spagat geglückt, so scheint es. Auch beim F1 W09, dem ersten Auto aus der Feder des vor Jahresfrist gekommenen Technischen Direktors James Allison. Es ist den grundsätzlichen Design-Prinzipien seines weltmeisterlichen Vorgängers treu geblieben, behält den gleichen langen Radstand und besitzt einen leicht erhöhten Neigungswinkel von der Vorder- zur Hinterachse. Wo der W08 „Diva“war (so teamintern der Spitzname) und nie ganz einfach im Umgang, sollte sein Nachfolger sich „etwas normaler verhalten“, sagt James Allison, und „besser zu verstehen sein“.
Das tut und das ist er. Bestätigt Lewis Hamilton, der diensthabende, der viermalige Weltmeister. Nach 2122 Testkilometern. „Ich hatte letztes Jahr ein großartiges Auto. Das hier ist noch mal eine Steigerung.“Euphorie? Steht auf dem Index in dieser Phase des Formel-1-Jahres unter dem guten Stern. Offizielle Sprachregelung also: „Es ist immer noch schwierig, genau zu wissen, wo wir im Vergleich zu Red Bull und Ferrari stehen. Aber ich habe das Gefühl, dass uns so viele Informationen wie möglich zur Verfügung stehen, um mit den bestmöglichen Daten gerüstet zum Saisonauftakt zu reisen.“
Zweimal – 2008 und 2015 – hat Lewis Hamilton in Melbourne gewonnen. Ein Sieg am Sonntag wäre ideale erste Etappe für den 33-Jährigen auf dem Weg zum großen Ziel: Dem fünften Titel, der ihn auf eine Stufe stellen würde mit Juan Manuel Fangio. Ach, und: Nach dieser Saison endet Lewis Hamiltons MercedesVertrag. Verlängerung Formsache. Detailsache, tun beide Parteien kund. Irgendwann bald wohl. Lewis Hamilton sagt dann noch: „Toto weiß, dass da draußen niemand ist, der besser ist als ich. Und ich weiß, dass es keine Adresse gibt, die besser ist als Mercedes.“
Bezeugen könnten es: die Zahlen. Bezeugen sollen es: die Zehntel.