Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Debatte um Altersprüfung
Sozialminister Lucha für Änderungen im Verfahren, Landespartei ist jedoch dagegen
STUTTGART (tja) - Mit seinem Vorschlag für Änderungen bei der Altersfeststellung junger Flüchtlinge stößt Baden-Württembergs Sozialminister Manfred Lucha (Grüne) auf Widerstand in der eigenen Partei. Deren Landeschef Oliver Hildenbrand sagte: „Ich sehe derzeit keinen Änderungsbedarf im Hinblick auf die Praxis der Altersfeststellung im Land.“Lucha will sich in Bund und EU dafür einsetzen, dass junge Flüchtlinge, die sich medizinischen Untersuchungen zu ihrem Alter verweigern, als volljährig gelten.
STUTTGART - Nach dem Urteil im Freiburger Mordprozess hat eine erneute Debatte um politische Konsequenzen begonnen. Das Landgericht Freiburg hatte am Donnerstag den afghanischen Flüchtling Hussein K. zu lebenslanger Haft verurteilt. Er hatte eine Studentin ermordet.
Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) forderte am Freitag, ein zentrales EU-Strafregister einzuführen. Sein Kabinettskollege Manfred Lucha plädiert für eine Änderung bei der Altersfeststellung junger Flüchtlinge. Damit stößt er auf Widerstand aus seiner eigenen Partei.
Hussein K. war 2013 in Griechenland zu einer Haftstrafe verurteilt worden, weil er eine junge Frau überfallen hatte. Er kam jedoch vorzeitig frei und reiste nach Deutschland weiter. Obwohl er dort von den Behörden erfasst wurde, erfuhren diese nichts von seiner kriminellen Vorgeschichte – Datenbanken mit Informationen zu Vorstrafen dürfen deutsche Behörden nur bei dem Verdacht auf ein schweres Delikt anfragen. Der bestand bei der Einreise nicht. Deswegen fordert CDU-Landesinnenminister Strobl nun Abhilfe an dieser Stelle: „Wir brauchen ein europäisches Strafregister.“
Hussein K. hatte außerdem behauptet, zur Tatzeit erst 17 Jahre alt gewesen zu sein. Mehreren Gutachten zufolge war er aber mindestens 22 Jahre alt. Allerdings hätte eine genauere Feststellung des Alters wenig geändert. Die Freiburger Richterin Kathrin Schenk fasste das so zusammen: Der Mord „hätte durch kein Gesetz, keine bessere Ausstattung der Polizei, keine andere Betreuung verhindert werden können“.
Auf diesen Umstand wies am Freitag auch ein Sprecher von Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) hin. Der hatte sich im SWR für eine Änderung bei der Altersfeststellung ausgesprochen. „Bisher war es so: im Zweifel für den Jugendlichen“, sagte Lucha dem Sender. Das solle anders werden.
Derzeit sieht die Praxis im Land so aus: Ein Flüchtling, der angibt, jünger als 18 Jahre alt zu sein, kommt in die Obhut eines Jugendamtes. Hat er keine Papiere, führen Sachbearbeiter Gespräche nach einem standardisierten Verfahren. Bestehen weiter Zweifel am Alter, kann eine Röntgenuntersuchung angeordnet werden. Dieser muss der Betroffene zustimmen. Allerdings kann schon jetzt die Ausländerbehörde eine Untersuchung anordnen, dies geschieht in der Praxis jedoch nicht.
Lucha will das Verfahren ändern. „Sollten sich einzelne Flüchtlinge konsequent und vehement weigern, bei der medizinischen Altersfeststellung mitzuwirken, gibt das aus unserer Sicht Anlass zu der Annahme, dass sie volljährig sind“, erklärte sein Ministerium. Die CDU fordert das seit Längerem. Deswegen begrüßte Strobl den Vorstoß eines Kabinettskollegen: „Diesen Weg fand ich schon immer richtig und habe meine Meinung nicht geändert.“Nun will sich die Landesregierung im Bund und bei der EU für entsprechende Gesetzesänderungen einsetzen.
Oliver Hildenbrand, Landesvorsitzender der Grünen, sagte der „Schwäbischen Zeitung“dazu: „Als eines der ersten Bundesländer hat Baden-Württemberg alle unbegleiteten minderjährigen Ausländer nachträglich systematisch erfasst. Hier hat sich erneut gezeigt, dass die Verfahren zur Altersfeststellung funktionieren, sie von den Behörden sorgfältig durchgeführt werden und zu verlässlichen Ergebnissen führen. Ich sehe derzeit keinen Änderungsbedarf im Hinblick auf die Praxis der Altersfeststellung im Land.“Schon jetzt hätten die Behörden die Möglichkeit, in Zweifelsfällen alle notwendigen Maßnahmen zur Altersfeststellung anzuordnen.