Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
EU bietet London nur Freihandelsabkommen
Die Europäische Union bietet Großbritannien nach dem Brexit offiziell nur ein herkömmliches Freihandelsabkommen an – weit weniger, als von London gewünscht. Diese Position billigten die 27 bleibenden EU-Länder am Freitag bei ihrem Gipfel in Brüssel. Mehr sei nicht möglich, weil Großbritannien aus dem gemeinsamen Binnenmarkt und der Zollunion austreten wolle, heißt es in den Leitlinien für die nächste Brexit-Verhandlungsetappe.
Mit Verabschiedung der Leitlinien werde es in den Verhandlungen „eine neue Dynamik“geben, sagte die britische Premierministerin Theresa May. Zum Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal in Salisbury hatte sie Ermittlungsergebnisse vorgelegt, die sich, so Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), wohl nicht sehr von den noch zu erwartenden Resultaten internationaler Chemiewaffenexperten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) unterscheiden würden. Merkel rechtfertigte damit die Entscheidung des Gipfels, diplomatische Maßnahmen gegen Russland einzuleiten, noch bevor die OPCW-Ergebnisse vorliegen. Merkel zeigte sich überzeugt, dass über die Rückberufung des EU-Botschafters in Moskau hinaus weitere Schritte erforderlich seien. Den Anschlag haben die 28 EUChefs verurteilt, die Verantwortung der „Russischen Förderation“als „sehr wahrscheinlich“bezeichnet. Ratspräsident Donald Tusk hätte sich wie May noch deutlichere Worte gewünscht. Er würdigte aber, dass sich alle 28 EU-Staaten trotz völlig unterschiedlicher Befindlichkeiten auf diesen Text einigen konnten.
Am Montag können die Europäer ein weiteres Mal die hohe diplomatische Kunst üben, ihren Unmut auszudrücken, ohne den Gesprächsfaden reißen zu lassen. Neben US-Präsident Donald Trump und Russlands Präsident Wladimir Putin ist der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan der dritte schwierige Politiker, mit dem die EU auskommen muss. Er soll wie bisher die Flüchtlinge daran hindern, über die Ägäis nach Griechenland zu gelangen. Weitere drei Milliarden Euro an EU-Mitteln sollen dafür in die türkischen Kassen fließen. Im Abkommen vom März 2016 verpflichtet sich Ankara, alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen.
Kritik an der Türkei
Gleichzeitig machte man deutlich, dass man mit der willkürlichen Verhaftung von politischen Gegnern, nicht einverstanden ist. Der Europäische Rat brachte „seine tiefe Besorgnis“über die Inhaftierung von EUBürgern zum Ausdruck, wie es in einer Erklärung hieß. In der Türkei sind seit dem gescheiterten Putschversuch von 2016 nach Medienberichten Zehntausende Menschen inhaftiert worden, darunter auch EU-Bürger.
Wie May bereit war, sich als Gegenleistung für die Russland-Erklärung im US-Handelsstreit solidarisch zu erklären, haben Griechenland und Zypern die Kritik an Russland mitgetragen, weil sie im Gegenzug deutliche Worte der EU gegenüber Erdogan gefordert hatten. Es ist dieses komplizierte Geflecht, das die EU-Mitglieder aneinander bindet. Jeder für sich könnte nichts ausrichten, alle gemeinsam bringen außenpolitisches Gewicht auf die Waage. Ein Pfund, mit dem Großbritannien demnächst nicht mehr wird wuchern können.