Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Wo die Kantilenen blühen
Julia Lezhneva, Franco Fagioli und die Cappella Gabetta gastierten im Graf-Zeppelin-Haus
FRIEDRICHSHAFEN - Erlesene spätbarocke Musik aus Italien haben die international gefeierten Gesangsstars Julia Lezhneva und Franco Fagioli mit dem Barockgeiger Andrés Gabetta und der von ihm gegründeten Cappella Gabetta für drei gemeinsame Konzerte in der Passionszeit ausgesucht. Giovanni Battista Pergolesis berühmtes „Stabat mater“stimmt nach geschickt kombinierten Werken von Antonio Vivaldi, Nicola Porpora und Angelo Ragazzi auf die Karwoche ein. Im Graf-ZeppelinHaus fand nun der umjubelte Auftakt der kleinen Tournee statt. Auftritte in Paris und Budapest folgen.
Andrés Gabetta hat sein Originalklang-Ensemble zusammen mit seiner als Cellistin bekannten Schwester Sol Gabetta für Aufführungen barocker und frühklassischer Kompositionen aufgebaut. In Friedrichshafen präsentierten die exzellenten Musiker zu Beginn ein Concerto in g-Moll von Vivaldi. Elf Streicher, ein Theorbenspieler und ein Cembalist genügten, um bei aller Leichtigkeit, Delikatesse und Transparenz der Darstellung eine geradezu orchestrale Klangfülle mit groovendem Generalbass-Fundament in den Ecksätzen zu entfalten.
Haydns Lehrer
Ein Positiv anstelle des Cembalos kam dann bei Porporas Solo-Motette „In caelo stelle clare“(„Mögen am Himmel klare Sterne leuchten“) als Begleitinstrument zum Einsatz. Porpora erfährt in jüngerer Zeit im Musikbetrieb zunehmend Beachtung. Er stammte aus Neapel und war ein Jahr jünger als Bach und Händel, dem er als Opernkomponist und Impressario in London Konkurrenz machte. Als gefragter Gesangslehrer ebnete er legendären Kastraten den Weg zu europäischem Ruhm. In Wien war der junge Haydn sein Kammerdiener und Kompositionsschüler. Vor 250 Jahren starb Porpora in seiner Heimatstadt.
In Friedrichshafen meisterte die auf der russischen Pazifikinsel Sachalin geborene Sopranistin Julia Lezhneva Porporas gesangstechnische Herausforderungen mit spektakulärer Virtuosität und Perfektion. Federleicht wie Blütengirlanden auf Frühlingslüften ließ die zierliche Sängerin im passend hellen, an Botticellis „Primavera“-Darstellung gemahnenden Kleid die halsbrecherischen Koloraturen des Soloparts dahinschweben. Kraftvoll und weich führte sie ihre Kantilenen bis in höchste Lagen und sonore Tiefen.
Lezhneva demonstrierte in jedem Moment absolute Kontrolle über Atem, Intonation und Timbre ihrer Stimme, die an Sicherheit und Reife in jüngster Zeit noch dazugewonnen hat. Emotionsgeladene Triller und originell gestaltete Kadenzen gelangen ohne leiseste Anzeichen von Anstrengung. Auch beiläufigen Zwischentönen mangelte es nie an vokaler Präsenz und Resonanz. Selbst exponierteste Spitzen stachen nicht heraus aus dem melodischen Fluss, sondern blieben stets eingebettet in den linearen Kontext. Eindrucksvoll wurde so die unvergleichliche vokale Ausdruckskunst Porporas erlebbar.
Wahrer Teufelsgeiger
Bei Ragazzis Sonate für Violine, Streicher und Generalbass übernahm Gabetta, der das Ensemble als Primarius leitete, den horrend schwierigen Part des Solisten und erwies sich dabei als wahrer Teufelsgeiger. Als sich nach seiner eigenwilligen, paganinesk dargebotenen Kadenz die Continuo-Gruppe improvisierend in deren Abschluss „hineinschlich“, hätte man wie bei einem Jazz-Konzert spontan Beifall zollen mögen. Den Lamento-Mittelsatz eröffnete der Sologesang der Violine im Verbund mit einer chromatisch geführten Cello-Stimme und der Cembalo-Begleitung als Trio vor dem rasanten Finale.
Dass seine geschmeidige, sensationell bewegliche Stimme über eine breite Palette von Farben und einen unglaublichen Umfang von profunder Tiefe bis zu klangvollen Sopranregionen verfügt, bewies der argentinische Countertenor Franco Fagioli nicht nur bei Vivaldis Psalmvertonung „Nisi Dominus“, sondern nach der Pause auch bei Pergolesis „Stabat mater“. In Friedrichshafen wurde das geniale Werk des früh verstorbenen Komponisten in der Originalfassung musiziert. Lezhneva und Fagioli sangen mit Inbrunst und boten Belcanto in höchster Vollendung. Nach langem Applaus wurde das bittersüße „Quando corpus morietur“wiederholt.