Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Spiel mit Licht und Schatten
Kunstmuseum Ravensburg widmet Hermann Waibel erstmals eine umfassende Retrospektive
RAVENSBURG - Er gehört zu den renommiertesten Lichtkünstlern und Vertretern der Konkreten Kunst in Deutschland: der gebürtige Ravensburger Hermann Waibel. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Ravensburg zu seinem 90. Geburtstag im Jahr 2015 wäre also durchaus angemessen gewesen. Weil sein Werk aber nicht ins Konzept des Hauses passte, ließ man die Gelegenheit verstreichen. Doch die Zeiten ändern sich. Unter dem Titel „Bildlicht“wird Hermann Waibel jetzt endlich im Kunstmuseum mit einer großen Retrospektive gefeiert. Zu sehen sind über zwei Stockwerke Bilder, Reliefs und Objekte aus 60 Jahren.
Seine Arbeiten sind Variationen zu geometrischen Formen, Strukturen, Rastern, Schichtungen und Farbgebungen, um anhand dieser die Spielarten des Lichts zu erforschen. Manchmal sind sie exakt konstruiert, dann wieder wirken sie wie organisch gewachsen. Einerseits bestehen sie aus scharfkantigem Plexiglas, andererseits aus fransigem Stoff oder hauchdünnem Papier. Bisweilen sind die reliefartigen Objekte schneeweiß, so dass das Licht graue Schatten wirft, dann wieder sind sie so tiefschwarz, dass sie jeden Lichtstrahl verschlingen. Später kommt auch Farbe ins Spiel, die vom Licht durchdrungen ins Schwingen gerät.
Wie die Künstler der Zero-Gruppe in Düsseldorf arbeitete Hermann Waibel lange Jahre ohne Farbe beziehungsweise mit Weiß und Schwarz. Allein durch den Wechsel des Blickwinkels und der Tageszeiten sollten sich die Objekte verändern. Seine „Lichtinstrumente“aus den 1980erJahren zum Beispiel mit schräg gestellten Acrylglasplatten auf weißem Hintergrund erzeugen eine Malerei aus Licht und Schatten, aus Hell und Dunkel mit einer verblüffenden Dynamik und Tiefenwirkung. Eine Handvoll Grafit-Studien in der Ausstellung weist darauf hin, dass solche „Lichtinstrumente“, mit denen er sein Repertoire des Reliefs erweitert, nicht aus dem Bauch heraus entstehen, sondern durch systematische Untersuchungen und Experimente. Zugleich sind Waibels Werke nie so perfekt, dass sie wie industriell produziert erscheinen. „Sie müssen atmen und pulsieren“, erklärt der 93jährige Künstler. Besonders gelungen ist ihm dieser Ansatz in seinen „Strukturstörungen“aus den Siebzigern und Achtzigern, in denen er zarte Zellstrukturen auch mit Feuer und Wasser modelliert, bis die Objekte zu Brandmalen werden. Sie zeigen die Kehrseite des Lichts: seine zerstörerische Kraft.
Dass die konkreten Arbeiten des Künstlers zu konkreten Erfahrungen führen, wird besonders in dem großformatigen „Spiegelobjekt“(1970/71) deutlich. Es gehört zu den Höhepunkten im ersten Stock des Kunstmuseums. Hier scheint sich die strenge Reihung unterschiedlich großer Quadrate über die räumlichen Grenzen hinweg ins Unendliche fortzusetzen. Der Bildraum wird gesprengt und der Betrachter förmlich hineingezogen – bis es ihm schwindlig wird.
Der wichtigste Beitrag von Hermann Waibel zur Entwicklung der Konkreten Kunst ist allerdings seine Erfindung der „Raumlichtfarben“. Meistens sind hier geometrische Formen Ton in Ton übereinandergeschichtet. In Ravensburg wurden dafür herrliche Variationen in Blau und Rot (2002) ausgewählt, die jeweils an den Stirnwänden im zweiten Stock hängen. Die Wirkung dieser Objektkästen ist verblüffend. Aus der Entfernung strahlen sie den Betrachter mit einer Intensität an, die an Kirchenfenster erinnert. Erst aus der Nähe entdeckt man, welche räumliche Tiefe die sich überlagernden Farbflächen suggerieren, wie sie das Licht modellieren und im Raum zu schweben scheinen.
Wechselnde Reflexionen
Eine konsequente Weiterentwicklung dieser „Raumlichtfarben“sind Waibels „Strichcodes“, eine Art von Reliefs. Sie bestehen aus Rippen in knalligen Farben, die ein permanentes Wechselspiel von Reflexionen bewirken. Wie schon bei seinen frühen Werken wird der Besucher auch hier aufgefordert, sich langsam an den großflächigen Arbeiten vorbeizubewegen, damit die Farbe in Schwingung gerät. Die „Strichcodes“wirken unglaublich jung und dynamisch, tatsächlich gehören sie zum Spätwerk des Künstlers. Die letzte Arbeit aus dieser Serie stammt von 2014. Für die Ausstellung wurden bewusst nur einige wenige wandfüllende Beispiele ausgesucht, damit sie zur Geltung kommen.
Kunsthistorikerin Kristina Gross und die neue Museumsleiterin Ute Stuffer haben eine gute Auswahl aus 60 Jahren künstlerischem Schaffen getroffen. Ein Großteil der Exponate stammt aus Privatbesitz oder den Beständen des Künstlers. Da weniger meistens mehr ist, wurde auf den einen oder anderen Aspekt in Waibels Werk lieber verzichtet. Auch die Aufteilung ist stimmig: Unten dreht sich alles um Schwarz und Weiß, während man oben in Farben schwelgen kann. Der Rundgang durchs Haus ist ein großer Erlebnisraum, der sogar mithilfe von Taschenlampen entdeckt werden darf. Sie sind auf Nachfrage an der Kasse erhältlich.
Die Ausstellung dauert bis 30. September, Öffnungszeiten: Di.-So. und feiertags. 11-18 Uhr, Do. 11-19 Uhr. Weitere Infos auch zu den Führungen unter: www.kunstmuseum-ravensburg.de