Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Merkel warnt vor rechten Tabubrüchen
Gedenkfeier für die Opfer des Brandanschlags in Solingen vor 25 Jahren – Hinterbliebene ruft zur Versöhnung auf
SOLINGEN (dpa) - Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat 25 Jahre nach dem ausländerfeindlichen Brandanschlag von Solingen vor Tabubrüchen von Rechtspopulisten gewarnt. Sie könnten in neue Gewalt ausarten, sagte Merkel am Dienstag bei einer Gedenkfeier in der Staatskanzlei in Düsseldorf. Rechtsextremismus gehöre keineswegs der Vergangenheit an.
„Zu oft werden die Grenzen der Meinungsfreiheit sehr kalkuliert ausgetestet und Tabubrüche leichtfertig als politisches Instrument eingesetzt“, betonte die Kanzlerin, ohne die rechtspopulistische AfD zu nennen. Dies sei ein Spiel mit dem Feuer: „Denn wer mit Worten Gewalt sät, nimmt zumindest billigend in Kauf, dass auch Gewalt geerntet wird.“
Menschen würden angefeindet und angegriffen, weil sie Asylbewerber oder Flüchtlinge seien oder weil sie dafür gehalten würden, sagte Merkel im Beisein des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu. „Solche Gewalttaten sind beschämend. Sie sind eine Schande für unser Land.“
Die 75-jährige Mevlüde Genc, die bei dem Anschlag zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte verloren hatte, rief eindringlich zur Versöhnung auf. „Lasst uns zum Guten nach vorne schauen“, sagte sie bei der Gedenkveranstaltung. „Dem Hass muss Einhalt geboten werden.“In der Nacht des 29. Mai 1993 hatten vier rechtsradikale Männer das Haus der türkischstämmigen Familie Genc in Solingen angezündet. Fünf Frauen und Mädchen starben. Der Brandanschlag gilt als eines der schwersten ausländerfeindlichen Verbrechen in der Geschichte der Bundesrepublik und ließ damals in vielen Ländern Europas Ängste vor einem Wiedererstarken des Rechtsextremismus im gerade vereinigten Deutschland aufkommen. Die Männer, die 1995 wegen Mordes verurteilt wurden, sind nach abgesessener Strafe wieder frei.
Menschliche Größe bewiesen
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete den Anschlag als „das schrecklichste Ereignis in der Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen“. Genc betonte, sie sei Teil beider Staaten, nicht nur eines Landes. Sie trage keine Rache, keinen Hass gegen andere Menschen in sich. „Ausgenommen die vier Personen, die mein Heim zu einem Grab machten.“Genc hatte sich immer wieder öffentlich für Versöhnung ausgesprochen. Dafür dankte die Kanzlerin ihr: „Auf eine unmenschliche Tat haben Sie mit menschlicher Größe reagiert. Dafür bewundern wir Sie und dafür danken wir Ihnen.“