Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein Mann für schwierige Fälle
Der ehemalige AEG- und Bahnchef Heinz Dürr wird 85 Jahre alt
RAVENSBURG - Es ist in den vergangenen Jahren ruhiger geworden um Heinz Dürr, aber vergessen ist er keineswegs. Dazu war seine berufliche Karriere zu spektakulär. Am Montag, dem 16. Juli, feiert diese außergewöhnliche Unternehmerpersönlichkeit ihren 85. Geburtstag.
Pflichten hat Heinz Dürr nie gescheut. Schon als ganz junger Mann übernahm er Verantwortung im elterlichen Stuttgarter Unternehmen, das heute als Dürr AG firmiert und zu einem der weltweit führenden Maschinen- und Anlagenbauer gehört. Der technische Leiter war erkrankt, deshalb wurde der Junior dringend gebraucht. Er brach sein Maschinenbaustudium ab, machte sich zu Hause ans Werk und nach und nach unter seinen Unternehmerkollegen auch einen guten Namen. Dennoch war es eine Überraschung, als der Verband der Metallindustrie von Baden-Württemberg 1975 den Mittelständler Heinz Dürr als Nachfolger des legendären Daimler-Vorstands Hanns-Martin Schleyer zu seinem Vorsitzenden wählte. Als Gegenspieler des Stuttgarter IGMetall-Bezirksleiters Franz Steinkühler galt Dürr schon bald als geschickter, manchmal auch etwas schlitzohriger Verhandlungsführer der Arbeitgeber.
Als Heinz Dürr 1980 zum Vorstandsvorsitzenden des taumelnden Elektroriesen AEG-Telefunken berufen wurde – offenbar auf Empfehlung des damaligen Bosch-Chefs Hans L. Merkle – war die Überraschung noch weit größer. Gewiss, Dürr hatte seinen Familienbetrieb gut geführt, doch die neue Aufgabe, so meinten viele, sei für ihn doch ein paar Nummern zu groß. Die Zweifler sollten sich täuschen. Zwar konnte Dürr den Vergleich der AEG nicht verhindern, aber das Verfahren mündete nicht, wie sonst fast immer, im Anschlusskonkurs, sondern wurde erfolgreich zu Ende geführt. Eine Milliarde Mark Guthaben hatte die AEG auf dem Konto, als Dürr 1990 den Vorstandsvorsitz abgab, fünf Milliarden Mark Schulden waren es gewesen, als er das Amt übernommen hatte. Vor allem aber wurden durch den Vergleich zigtausende Arbeitsplätze gerettet. Auch wenn die AEG längst Geschichte ist, so existieren viele ihrer ehemaligen Betriebe bis heute weiter.
Den Ruf, ein Mann für schwierige Fälle zu sein, sicherte sich Heinz Dürr endgültig, als er 1991 auf Bitten von Bundeskanzler Helmut Kohl Präsident der Deutschen Bundesbahn wurde. Was er bei der Zusammenführung der Deutschen Bundesbahn und der Reichsbahn der DDR zur Deutschen Bahn AG geleistet hat, gilt als sein unternehmerisches Meisterstück. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil es ihm – jedenfalls zu einem wesentlichen Teil – gelungen ist, seine Eisenbahner in West und Ost weg vom Behördendenken und hin zu einer Markt- und Kundenorientierung zu bewegen.
Auf ihren Landsmann, der sich so großen Herausforderungen mutig und erfolgreich gestellt hat, sind die Schwaben stolz. Und so bringen sie, vielleicht ein wenig mühsam, auch Verständnis dafür auf, dass Heinz Dürr und seine Frau Heide schon seit vielen Jahren den Wohnort Berlin dem heimatlichen Stuttgart vorziehen, weil, so sagen sie, in der Hauptstadt mehr zu erleben sei.