Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Wiener Symphoniker und Beethoven
Zur Jahrtausendwende hatte die großen und berühmten Sinfonieorchester die Angst geplagt, dass ihnen Spezialensembles für Alte Musik ihr Kern-Repertoire streitig machen. Ihre Beethoven-Interpretation sollte leichter, schneller, historischer werden, bei manchen Instrumentengruppen griff man auf alte Instrumente zurück, aber irgendwie sollte auch noch der bekannte Sound als Markenzeichen erhalten bleiben. Dokumente dieses Spagats sind der Beethoven-Zyklus der Berliner Philharmoniker mit Claudio Abbado aus dem Jahr 2000 oder der Wiener Philharmoniker mit
Simon Rattle drei Jahre später.
Beim TonhalleOrchester in Zürich hat das schon in den späten Neunzigern begonnen, als
David Zinman antrat und das Orchester von
Franz Brüggen historisch-sportlich trainieren ließ.
Von daher sind die Wiener Symphoniker mit ihrem nun entstehenden Beethoven-Zyklus spät dran. Aber es ist unser erster, sagen sie. Gerade ist die Aufnahme der 4. und 5. Sinfonie erschienen. Das Ergebnis liegt im Rahmen des Bekannten.
Die Unterschiede innerhalb dieses Rahmens sind gering, der Vorführeffekt, auf den hin Rattle die Wiener Kollegen dirigierte, fehlt dankenswerterweise, die Musik wirkt durchweg aggressiver, die pulsierenden Akzente treiben sie zügig voran, Philippe Jordans Spiel mit schroffen Dynamikkontrasten hat auf die Dauer etwas Absehbares. Während der Musik auf die Uhr zu schauen, ist ziemlich albern, aber zeigt in diesem Fall ein überraschendes Ergebnis. Beim pochenden Kopfsatz der 5. Sinfonie sind die historisch informiert dahineilenden Symphoniker schneller als die Philharmoniker aus Wien und Berlin. Sie sind exakt so zügig wie das Radiosinfonie-Orchester Saarbrücken 2005 unter dem damals 82-jährigen Stanislaw Skrowaczewski. Da war nichts historisch informiert, beeindruckend aber trotzdem. Auch ein Orchester im Verbund des SWR, das es so nicht mehr gibt. (man)
Beethoven Sinfonien 4 und 5, Wiener Symphoniker, Philippe Jordan, WS 014. Die 5. Symphonie führen die Wiener Symphoniker bei den Bregenzer Festspielen am 6. August unter Leitung von Karina Canellakis auf.