Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Viele Tote bei Brückeneinsturz in Genua
Ursache für „entsetzliche Tragödie“unklar – Auch deutsche Brücken in schlechtem Zustand
GENUA/RAVENSBURG - Beim verheerenden Einsturz einer vierspurigen Autobahnbrücke in Genua sind am Dienstag mindestens 35 Menschen ums Leben gekommen und zahlreiche Personen verletzt worden. Mehrere Überlebende konnten aus den Trümmern geborgen werden. Zahlreiche Lastwagen und Autos waren bei dem Unglück auf der 1967 eingeweihten Morandi-Brücke, einer bekannten Urlaubsverbindung, 45 Meter in die Tiefe gestürzt und teils unter Betontrümmern begraben worden.
Die Unglücksursache war zunächst unklar. Vorab hatte es für die norditalienische Region Ligurien eine Unwetterwarnung gegeben. Die Betreibergesellschaft Autostrade per l’Italia teilte mit, auf der Brücke habe es Bauarbeiten gegeben. In Italien sind viele Autobahnen, auch dieses Teilstück, privatisiert.
Verkehrsminister Danilo Toninelli sprach von einer „entsetzlichen Tragödie“. Er schloss aus, dass die Bauarbeiten Grund für den Einsturz seien. Innenminister Matteo Salvini reagierte betroffen und erbost. Er werde „alles dafür tun, um die Namen der Verantwortlichen in der Vergangenheit und Gegenwart zu be- kommen“. Es sei „nicht akzeptabel, auf diese Weise in Italien zu sterben“.
Am Unglücksort bot sich ein Bild der Verwüstung: In der 1182 Meter langen Brücke, die den Fluss Polcevera sowie ein Industriegebiet überquert, klaffte eine riesige Lücke. Lastwagen lagen im Fluss, Autos unter Trümmern. Mehr als 300 Rettungskräfte waren im Einsatz. In der Nähe wurden Gebäude evakuiert.
Der Brückeneinsturz lenkte den Blick am Dienstag auch auf die deutsche Infrastruktur. Hierzulande gibt es nach Angaben der Bundesanstalt für Straßenwesen rund 39 600 Brücken an Autobahnen und Fernstraßen. Nach aktuellen Zahlen des Bun- desverkehrsministeriums befinden sich 12,2 Prozent der Brücken in einem „nicht ausreichenden beziehungsweise ungenügenden Bauwerkszustand“. Allerdings sind die Kontrollen streng. ADAC-Experte Reimund Elbe sagte am Dienstag zur „Schwäbischen Zeitung“: „Es gibt eine DIN-Norm zur Brückensicherheit. Danach wird alle sechs Jahre eine Hauptprüfung durch Ingenieure durchgeführt. Alle drei Jahre folgt eine einfache Prüfung, zudem jährlich Kontrollbesichtigungen durch die Straßen- und Autobahnmeistereien.“Bestimmte Brücken seien bereits für den Schwerverkehr gesperrt worden.
GENUA (dpa) - Das Grollen ist gewaltig. Doch es ist nicht der Donner des Gewitters, das sich im selben Moment über Genua entlädt. Im dichten Regen erkennt man schemenhaft, dass die gewaltigen Pfeiler einer Autobahnbrücke wie Streichhölzer einknicken. „Oh Gott“, ruft ein Mann immer wieder, die Stimme voller Panik, wie in dem Video zu hören ist. Es sind Szenen wie aus einem Katastrophenfilm, die sich am Dienstag in der italienischen Hafenstadt abspielen. Und erst langsam wird das Ausmaß der Tragödie klar: Zahlreiche Autos sind in die Tiefe gestürzt, dutzende Menschen sind tot.
Berichte über Blitzeinschlag
Die Brücke ist mehr als 40 Meter hoch. Sie überquert diese Stadt, die eingezwängt ist zwischen Bergen und Meer. Nun ragen die zwei abgebrochenen Spannbeton-Stücke in die Landschaft. Dazwischen: Leere. Kurz vor dem Abgrund ist ein grüner Lastwagen stehen geblieben.
Überlebende des Unglücks berichten der Nachrichtenagentur Ansa: „Gegen halb zwölf haben wir einen Blitz in die Brücke einschlagen sehen – und dann stürzte die Brücke in sich zusammen.“
„Es ist die Hölle“, zitieren Medien Rettungskräfte, die zu Hunderten und mit schwerem Gerät nach Verschütteten suchen. Sie finden erste Tote, aber auch Überlebende. Die Brückenteile prallten mit Wucht auf den Erdboden. Das größte Stück ist in den Polcevera-Fluss gefallen, einige Teile trafen auch Fabrikhallen.
Da ist es ein Glück, dass Ferienzeit ist. Im August steht Italien still. Laut Zivilschutz dürfte in den Hallen so gut wie niemand an der Arbeit gewe- sen sein. „Die Leute liefen mir entgegen, barfuß und erschrocken. Als ich aus dem Tunnel kam, sah ich, wie die Autos langsamer wurden, und hörte ein Donnern. Die Leute flüchteten in meine Richtung, es war schrecklich“, sagt der Busfahrer Alberto Lercari dem „Corriere della Sera“.
„Ich habe die Brücke einstürzen sehen. Wir standen am Ende eines Staus, dann habe ich hinter mir das Unglück gesehen, dann nichts mehr“, sagt ein anderer Augenzeuge. Viele Anwohner seien mit angsterfüllten Augen und geschockt in Krankenhäuser gekommen. „Wir haben das Einstürzen der Struktur gesehen und dann einen ersten Lastwagen, der nach unten flog“, zitiert „La Repubblica“einen von ihnen. Ein Reporter der Zeitung, Matteo Pucciarelli, zeichnet von der Unglücksstelle ein apokalyptisches Bild: „Als wäre eine Bombe in diese wichtige Arterie eingeschlagen.“Es seien viele weiße Laken zu sehen, Körper würden aus Autos gezogen. Es ist von etwa 50 Autos und Lastwagen die Rede, die im Moment des Einsturzes auf der Straße unterwegs waren.
Die Schrägseilbrücke wird von den Genuesen auch „Ponte di Brooklyn“, also „Brooklyn Bridge“, genannt. Wie so viele Autobahnen stammt sie aus den 1960er-Jahren. Medien berichten immer wieder von der Gefahr einstürzender Brücken, von der Infrastruktur in Italien, die fatal veraltet und deren Lebenszeit auf 50 bis 60 Jahre begrenzt sei.
Dritter Brückeneinsturz seit 2016
Im März vorigen Jahres stürzte eine Überführung über einer Autobahn ein. Zwei Menschen starben. Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss machte dafür die Passivität der Baufirmen nach der Entdeckung von Rissen verantwortlich. Im Oktober 2016 brach ein Viadukt in der Nähe des Comer Sees zusammen. Ein Mensch kam ums Leben. Die Überführung hatte unter der Last eines Schwertransporters nachgegeben.
Die Vorwürfe sind immer wieder die gleichen: Es werde zu wenig Geld in die Instandhaltung gesteckt – aber auch Korruption, Misswirtschaft und Vernachlässigung seien im Spiel. Der neue Verkehrsminister Danilo Toninelli beklagt im Radio, es sei nicht genug für die Instandhaltung getan worden. „Diese Tragödien können und dürfen in einem zivilisierten Land wie Italien nicht passieren.“