Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
FDP kritisiert Land für Finanzgeschäfte
Zankapfel sind Derivate, durch die sich das Land gegen Zinsschwankungen absichern will
STUTTGART (kab) - FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke wirft Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) vor, illegale Geschäfte mit Derivaten zu betreiben. Damit habe sie dem Land einen Verlust von vier Milliarden Euro beschert. „Beides ist falsch“, erklärte ein Ministeriumssprecher am Montag in Stuttgart. Derivate würden genutzt, um Zinsrisiken abzufedern – wie es das Gesetz im Land vorsehe. Hintergrund des Streits ist ein Zeitungsartikel vom Sonntag.
STUTTGART - Die FDP-Fraktion im Stuttgarter Landtag wirft Finanzministerin Edith Sitzmann (Grüne) vor, sich an spekulativen Zinswetten zu beteiligen. „Es kann nicht sein, dass eine Finanzministerin zockt und der Steuerzahler Milliarden verliert“, erklärt Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke mit Verweis auf einen Bericht der Zeitung „Welt am Sonntag“. Das Finanzministerium spricht von „unsachlichen Vorwürfen“und wehrt sich gegen den FDP-Vorwurf, „illegale Geschäfte“zu betreiben.
Die Zeitung hatte von Zinswetten berichtet, durch die das Land Hessen „Hunderte Millionen Euro in den Sand gesetzt“habe. Es geht dabei um Geschäfte mit sogenannten Derivaten. Unter diesen Begriff fällt ein ganzes Bündel an Finanzgeschäften, von denen einige hoch problematisch und risikoreich sind. Andere können dabei helfen, Risiken in der Zukunft abzumildern. Dabei kann etwa heute schon die Höhe von Zinsen auf Kredite festgelegt werden, die erst in einigen Jahren anfallen.
Bericht über Milliarden-Verlust
Laut Tabelle der „Welt am Sonntag“ist Baden-Württemberg mit minus 4,1 Milliarden Euro Spitzenreiter unter den Bundesländern bei den Zinsverlierern. FDP-Fraktionschef Rülke forderte Finanzministerin Sitzmann dazu auf, rechtlich gegen die Zeitung vorzugehen, wenn diese falsch berichtete. „Wenn es aber stimmt, dann soll sie dem Steuerzahler sehr genau erklären, weshalb sie mit seinem Geld zockt“, so Rülke.
Genau das hat ein Sprecher der Finanzministerin am Montag getan. „Herr Rülke hatte behauptet, es gebe einen Verlust des Landes BadenWürttemberg über vier Milliarden Euro und die Zinsabsicherung sei illegal. Beides ist falsch“, erklärt er. Bei den 4,1 Milliarden Euro handele es sich nicht um einen Verlust, „sondern um den Barwert, der eine finanzmathematische Bewertung der Positionen aus Marktsicht zu einem Stichtag darstellt.“
Dieser Barwert ändert sich jedes Mal, wenn sich die Zinsen am Kapitalmarkt ändern. „Steigen die Zinsen, so schrumpft der negative Barwert oder der Barwert wird sogar positiv“, so der Sprecher. Kosten fürs Land entstünden sowieso nicht, denn „egal wie sich der Zinssatz entwickelt, es gibt in keinem Fall Nachzahlungen“.
Seit 1990 bemühe sich das Land darum, über Derivate möglichst lange günstige Zinsen zu sichern, „wie es Häuslesbauerinnen und -bauer auch machen“, so der Sprecher. Das Instrument sei während der Regierungszeiten von Grünen, CDU, SPD und FDP genutzt worden. Der letzte Neuabschluss sei 2012 erfolgt. Seitdem seien nur bestehende Abschlüsse verändert worden.
Dass sich das Land auf diese Weise langfristig gegen Zinsschwankungen absichern kann, sei in der Landeshaushaltsordnung und im Staatshaushaltsgesetz geregelt, erklärt der Ministeriumssprecher und verweist auf gesetzliche Grenzen hierfür, die eingehalten würden.
So nutze das Land Zinsderivate ausschließlich zur Absicherung von Risiken, nicht aber für Spekulationen am Finanzmarkt – wie dies etwa die Stadt Pforzheim getan habe. Das Mannheimer Landgericht hatte die frühere Oberbürgermeisterin und ihre Stadtkämmerin deshalb Ende letzten Jahres zu Bewährungsstrafen verurteilt.
Der Landesrechnungshof konnte sich am Montag auf Anfrage mit Verweis auf die Urlaubszeit nicht zum Vorgang äußern. Nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“ist aber bald mit einer Bewertung der Derivatgeschäfte des Landes durch die obersten Kontrolleure zu rechnen.
Nicht immer riskant
Diese hatten sie jüngst durchleutet. In seiner Denkschrift von 1997 äußerte sich der Landesrechnungshof äußerst differenziert zur „Gefährlichkeit“von Derivaten. Es werde häufig übersehen, „daß es sich bei den in der öffentlichen Verwaltung eingesetzten Derivaten um Instrumente der Risikoabsicherung und nicht um Spekulationsinstrumente handelt.“Er spricht von „Chancen zur Optimierung der Schuldenstruktur“.
„Grundsätzlich gilt, daß Derivate bei öffentlichen Verwaltungen nur zur Zinssicherung und zur Optimierung von Zinsbelastungen eingesetzt werden sollten und nicht zur Spekulation“, so der Landesrechnungshof damals. Daran halte sich das Ministerium, erklärt der Sprecher. Wie vom Rechnungshof gefordert, habe das Ministerium einen Katalog erstellt, der vorgebe, welche Derivatgeschäfte getätigt werden dürfen und welche nicht. Auch gebe es – wie gewünscht – eine klare Trennung zwischen den Mitarbeitern, die solche Geschäfte abschließen, die sie abwickeln und die sie kontrollieren.
Was die Geschäfte für die Bürger bedeuten, will auch der Bund der Steuerzahler beleuchten. „Wir werden uns damit befassen“, kündigte Landeschef Zenon Bilaniuk an.