Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Katalonien feiert die Fiesta der Zwietracht
Ein knappes Jahr nach dem illegalen Abspaltungsreferendum in der spanischen Region Katalonien hat die Unabhängigkeitsbewegung wieder Muskeln gezeigt. Hunderttausende gingen am katalanischen Diada-„Nationalfeiertag“, der in der Region jedes Jahr am 11. September gefeiert wird, auf die Straße. Mit dem Ruf „Wir schaffen die Republik“demonstrierten sie für einen eigenen Staat.
Doch der Katalonien-Tag ist schon lange kein Fest der Einheit mehr, sondern eine Fiesta der Zwietracht, die die 7,5 Millionen Katalanen spaltet. Die prospanische Hälfte der Katalanen machte nicht mit, weil der Diada-Feiertag von der regionalen Separatistenregierung als Bühne für ihre Unabhängigkeitsforderung benutzt wird.
Auch die aus mehreren Parteien bestehende Separatistenfront tritt derzeit alles andere als einig auf. Die kompromisslose Abspaltungspolitik des früheren Katalonien-Präsidenten Carles Puigdemont, der nach seiner Flucht vor der spanischen Justiz nun aus dem Ausland den Konflikt weiter schürt, trieb einen großen Keil in die Unabhängigkeitsbewegung.
Der von Puigdemont angeführte fundamentalistische Flügel will weiterhin die Unabhängigkeit mit der Brechstange durchsetzen. Der moderatere Flügel um seinen früheren Vize Oriol Junqueras, der seit zehn Monaten in Untersuchungshaft sitzt und demnächst mit einer Anklage wegen Rebellion rechnen muss, ruft derweil die Bewegung zu mehr Realismus auf. Er lehnt weitere einseitige und damit rechtswidrige Schritte Richtung Unabhängigkeit ab. Die Separatisten müssten aus ihren Fehlern lernen, sagt er. Ein eigener Staat könne lediglich auf legalem Wege erreicht werden. Also nur mit einem gesetzesmäßigen Referendum, das mit der spanischen Staatsregierung ausgehandelt werden müsse. Auch wenn es bis dahin noch ein weiter Weg sei.
Spaniens Verfassung sieht die Abspaltung eines staatlichen Territoriums derzeit nicht vor. Ähnlich sieht die Rechtslage in den meisten EUStaaten aus. Deswegen hatte Spaniens Verfassungsgericht das von Puigdemont vor einem Jahr durchgepeitschte Referendum verboten.
Feindbild verloren
Die Separatistenfront bröckelt noch aus einem weiteren Grund: Sie hat nach dem Abtritt von Spaniens konservativem Regierungschef Mariano Rajoy Anfang Juni ihr wichtigstes Feindbild verloren. Rajoy hatte mit seiner harten, unversöhnlichen Politik gegenüber Katalonien viel Porzellan zerschlagen und damit zur Eskalation beigetragen.
Seit dem Amtsantritt des Sozialisten Pedro Sánchez in Madrid weht ein neuer Wind im Umgang mit Katalonien. Sánchez bot der katalanischen Separatistenregierung, die von dem Puigdemont-Vertrauten Quim Torra geführt wird, einen Dialog an.
Die Meinungsbarometer belegen aber auch klar, dass Kataloniens Bevölkerung weiterhin ziemlich genau in der Mitte zwischen Befürwortern und Gegnern einer unabhängigen katalanischen Republik entzweit ist. Dies dürfte die eigentliche Herausforderung in Katalonien sein: Den tiefen Graben, der sich durch Familien, Freundeskreise, Betriebe und ganze Ortschaften zieht, wieder zuzuschütten.