Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Kur kann zu Neustart im Alltag verhelfen
Beraterin unterstützt auf dem Weg zur Mutter/Vater-Kind-Kur – Eine Ausfahrt vor dem möglichem Zusammenbruch
Die Mütter und Väter haben Eheprobleme, Sorgen ums Geld oder sind nur noch erschöpft. Um die 5000 Menschen informieren sich jährlich bei einer der diakonischen Kurberatungen im Südwesten zu Mutter/Vater-KindKuren. Erfahrungen einer Beraterin.
Manchmal ist Christel Floß-Gerbig wütend. Neulich etwa saß eine 22-jährige Mutter weinend vor ihr. Die junge Frau erzog ihr vierjähriges Kind schon seit dreieinhalb Jahren alleine. Sie hatte riesige Zukunftsängste und litt unter Erschöpfung und Panikattacken – aber ihre Krankenkasse hatte den Antrag auf eine Mutter-Kind-Kur abgelehnt. Es hieß, dass die Doppelbelastung Beruf und Haushalt nicht vorhanden sei, daher könne die Kur nicht bewilligt werden. Floß-Gerbig sagt dazu: „Auch ohne Doppelbelastung können Menschen physisch und psychisch am Abgrund stehen.“Sie half daher der jungen Frau Widerspruch gegen den Bescheid einzulegen.
Die Sozialpädagogin Floß-Gerbig arbeitet beim Diakonischen Werk Breisgau-Hochschwarzwald und ist unter anderem in der Beratungsstelle für Mutter/Vater-Kind-Kuren in Müllheim tätig. Zweimal pro Woche erklärt sie, wann man Anspruch auf eine Kur hat, unterstützt bei der Antragstellung, hilft bei der Auswahl einer Klinik und informiert über die Therapiemöglichkeiten und den Ablauf einer Kur. Rund 150 Anfragen gehen pro Jahr in Müllheim ein. Nur fünf Prozent davon stammen von Männern.
Laut der Beraterin liegt das daran, dass nur Elternteile Anspruch auf eine Mutter/Vater-Kind-Kur haben, die die Haupterziehungsverantwortung tragen. „Gerade im Ländlichen sind das immer noch die Frauen“, sagt sie. Sie höre aber von ihren Freiburger Kolleginnen, dass dort der Anteil der hauptverantwortlich erziehenden Männer höher sei.
Vorab Probleme analysieren
Insgesamt gibt es in Baden 20 diakonische Beratungsstelle für Mutter/ Vater-Kind-Kuren. Mehr als 1700 Anfragen werden jährlich gestellt. In Württemberg gibt es 53 diakonische Kurberatungsstellen. Sie unterstützen jährlich um die 4000 Mütter und Väter in Hinblick auf zum Beispiel Mutter/Vater-Kind-Kuren oder Schwerpunktkuren für pflegende Angehörige, so eine Sprecherin des diakonischen Werks Württembergs.
Die Ratsuchenden bezüglich Mutter/Vater-Kind-Kuren brechen unter der Doppelbelastung Beruf und Familie ein, sind alleinerziehend oder haben Eheprobleme, machen sich Sorgen ums Geld oder um den Job und manche wissen nicht mehr, wie es mit ihren unter Neurodermitis oder ADHS leidenden Kindern weitergehen soll. Floß-Gerbig sagt, viele der Menschen die zu ihr kommen, stünden kurz vor dem Zusammenbruch.
In einem ersten Gespräch analysiert sie mit den Ratsuchenden deren Gesundheitsprobleme. Brauchen sie tatsächlich eine Mutter-Kind-Kur? Sind auch die Kinder behandlungsbedürftig? Manchmal, wenn vor allem das Kind erkrankt ist, hilft auch eine spezielle Kinder-Kur. Oder liegen zum Beispiel so schwerwiegende psychische Probleme vor, dass eine psychosomatische Klinik besser geeignet wäre? Gelegentlich, wenn es bei den vorhandenen Gesundheitsbeschwerden vor allem um den Erhalt der Arbeitsfähigkeit geht, kommt auch eine Reha-Maßnahme über den Rentenversicherungsträger infrage. Für Mutter/Vater-Kind-Kuren sind allein die Krankenkassen zuständig.
Lange Wartezeiten sind normal
Anschließend hilft Floß-Gerbig die für die Antragsstellung nötigen Dokumente zusammenzustellen und leitet diese, im Auftrag der Betroffenen, an die zuständige Krankenkasse weiter. So muss zum Beispiel ein Arzt die Notwendigkeit einer Kur als Vorsorge- oder Reha-Maßnahme ausführlich attestieren. Im letzten Schritt geht es um die beschwerdeabhängige Auswahl des Kurortes. „An dieser Stelle treffen verschiedene Interessen aufeinander“, sagt die Beraterin. Manche Wünsche müssen die Krankenkassen bei der Bewilligung berücksichtigen. „Wer zum Beispiel in eine katholische Klinik will und dies begründen kann, hat ein Recht darauf“, sagt Floß-Gerbig. Genauso könne ein Vater darauf bestehen, in eine Kurmaßnahme nur für Männer zu kommen.
Allerdings gelte auch das Gebot der Wirtschaftlichkeit. „Manchmal kommen Leute und wollen unbedingt, ohne entsprechende medizinische Indikation, in eine Klinik am Meer oder in eine, in der es Fernseher auf den Zimmern gibt“, erzählt Floß-Gerbig. Aber darauf gibt es keinen Anspruch. Ein großes Problem sei, dass es fast nie kurzfristig Plätze gibt. „Die Häuser sind sehr überlastet. Wartezeiten von sechs bis neun Monaten sind normal“, erklärt sie. Wenn die Kur aber erst einmal bewilligt sei, schöpften viele der Frauen neue Kraft. „Das schaffe ich jetzt auch noch“, sei dann zu hören.
Floß-Gerbig sagt, dass sie in den Nachgesprächen feststelle, dass die Mütter, Väter und Kinder erholt und gestärkt wiederkommen. Es gibt nur eine Schwierigkeit: „Das Umfeld ist dasselbe geblieben. Nicht immer gelingt es, das positive Gefühl lange aufrecht zu erhalten“, berichtet sie. Vielen gelingt aber ein Neustart. Sie hat im Laufe ihrer Beratungstätigkeit zahlreiche Menschen kennengelernt, die in der Kur die Kraft fanden, ihr Leben neu zu regeln oder sich aus belastenden Beziehungen zu befreien, sagt die Beraterin.
Kurberatung: www.diakoniebreisgau-hochschwarzwald.de/ angebote/kinder-jugend-familie/ kurberatung