Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Die Krawatte war immer schon sein Markenzeichen
Auch mit 92 geht Vincente Tur jeden Tag arbeiten – Ans Aufhören denkt der Unternehmer noch lange nicht
FRIEDRICHSHAFEN - Ein Mann mit positiver Ausstrahlung. Elegante Erscheinung. Trägt immer Krawatte und legt auch sonst großen Wert auf sein Äußeres. Hat stets ein Lächeln auf den Lippen. Jeden Tag von 8 bis 18 Uhr zur Arbeit zu gehen, ist für ihn eine Selbstverständlichkeit. Sich in die Rente verabschieden? Dazu gibt es für ihn keinen Grund. Warum auch. Heute wird Vincente Tur 92 Jahre alt – und er strotzt nur so vor Vitalität.
Vincente Tur ist nach wie vor Geschäftsführer der von ihm gegründeten „Fresh Fruit Alliance V.S. Tur GmbH & Co. KG“, die er vor wenigen Jahren an seinen Sohn Roberto Sansaloni übertragen hat. Seine Firma hat ihren Sitz in der Häfler Altstadt und ist seit 1948 überaus erfolgreich in der Vermarktung und im Import von Obst, Gemüse und Zitrusfrüchten tätig. Das Familienunternehmen mit spanischen Wurzeln pflegt eine jahrzehntelange erfolgreiche Partnerschaft mit spanischen Genossenschaften und Produzenten und zählt derzeit zum Beispiel Aldi, den Fruchtimporteur van Wylick in Köln und viele andere namhafte Firmen zu seinen Kunden.
„Ich habe schon immer an mich geglaubt. Und Glaube versetzt ja bekanntlich Berge“, sagt Vincente Tur. Dabei hat er ganz klein angefangen. Geboren ist er in Valencia als Sohn eines Landwirts und einer Hausfrau. Schon in jungen Jahren hat er bei einer angesehenen Exportfirma für Obst und Gemüse gearbeitet. Nach dem Krieg im Ausland Fuß zu fassen, auf diese Idee brachte ihn ein Ehepaar, das frische Ware nach Deutschland beziehen wollte. Also machte er sich 1947 auf den Weg und setzte seinen bisherigen guten Job aufs Spiel – gegen den Willen seines Vaters. „Ein Freund hat mir 300 Mark als Startkapital mitgegeben“, erzählt Vincente Tur. Viel Geld, das er bei seiner Ankunft in München prompt in einer Telefonzelle vergaß und nicht wiederbekam. Also war er blank und hatte mitten im Dezember nichts als den dünnen Sonntagsanzug, den er am Körper trug und ein paar Schuhe mit abgelaufenen Sohlen.
„Mein Prinzip war schon immer, dass ich nicht mehr Geld ausgeben durfte, als ich zur Verfügung hatte. Ich zahle pünktlich und stehe zu meinem Wort. Ich war die ersten Jahre arm, blieb mir aber immer treu“, kommt Vincente Tur bei Kaffee und Kuchen auf der wunderschönen Terrasse seines Hauses in Ailingen ein wenig ins Plaudern. Gerade in den Anfangszeiten seiner Firma habe er viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. „Meine spanischen Erzeuger sagten damals, ich sei der Einzige, der mit den im Vergleich zu den lockeren Spaniern viel strengeren Deutschen umzugehen wisse“, erzählt er munter drauflos. Sein Verhandlungsgeschick und sein Talent, mit Menschen zu reden, sollten ihm auch später immer wieder zugutekommen und viele Türen öffnen.
Dass Friedrichshafen das „Zentrum Europas“ist, das hat Vincente Tur früh erkannt. „Hier ist der Knotenpunkt nach Österreich, in die Schweiz und in nördlicher Richtung nach ganz Deutschland“, sagt er. Also verlegte er 1955 seinen Firmensitz von München an den Bodensee. „Einer meiner damaligen Kunden war Migros, auch Konsum in Zürich“, erinnert er sich. Und daran, dass der damals im süddeutschen Raum sehr bekannte Einzelhändler Karl Gaissmaier „immer erst einen Jägermeister getrunken hat, bevor wir über das Geschäftliche reden konnten“.
Geburtstag mit Gondelfahrt
Von weltweit führenden Obst- und Gemüse-Exporteuren wie „Agroiris“und „Freson de Palos“für 25-jährige Partnerschaft ausgezeichnet worden zu sein, empfindet Vincente Tur als große Ehre. „Ich bin stolz auf mein Leben und auf das, was ich aus dem Nichts heraus geschaffen habe“, sagt er. „Schmutzige Arbeit oder ein krummes Ding – das hat es bei mir nie gegeben.“
Seinen Geburtstag feiert Vincente Tur in diesem Jahr übrigens in Venedig. „Ich freue mich auf eine Gondel mit Gondoliere und darauf, vor meiner Frau auf die Knie zu gehen und ihr zu sagen, wie sehr ich sie liebe“, verrät er schon mal. Mit der Arbeit aufhören? Kommt nicht infrage.
„Eigentlich wünsche ich mir, mit dem Stift in der Hand am Schreibtisch zu sterben“, sagt Vincente Tur mit einem Lächeln auf den Lippen.