Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Luftreinhalteplan ist angeblich vom Tisch
Behörde berichtet von Verbesserungen: Weniger Stickstoffdioxid in der Ravensburger Schussenstraße gemessen
RAVENSBURG - Völlig überraschend hat Oberbürgermeister Daniel Rapp am Montagabend im Ravensburger Gemeinderat verkündet, dass das Regierungspräsidium (RP) Tübingen nun doch keinen Luftreinhalteplan für die Stadt erlassen werde. „Das RP hat noch mal nachgemessen und festgestellt, dass wir unterhalb der Grenzwerte liegen.“Auch wenn die Stadt nun nicht mehr verpflichtet sei, die Schadstoffbelastung durch Stickstoffdioxid deutlich zu senken, will sie jedoch an einigen Maßnahmen zur Luftverbesserung festhalten: etwa die Stadtbusflotte auf Gas umrüsten, die E-Mobilität fördern oder das Radwegenetz ausbauen.
Dass ein Luftreinhalteplan kommt, galt bisher angesichts der hohen Stickstoffdioxidbelastung entlang der Schussenstraße als sicher. 2016 wurden an drei Messpunkten im Jahresmittel Werte zwischen 49 und 54 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft gemessen. Erlaubt sind maximal 40 Mikrogramm.
Es gibt eine gesetzliche Vorschrift, dass im Falle einer Überschreitung des Grenzwertes ein Luftreinhalteplan erstellt werden muss. Die Stadt Ravensburg hat vor einem Jahr, Ende Oktober 2017, eine Vielzahl von Ideen für bessere Luft beim Regierungspräsidium eingereicht. Ein Entwurf des Luftreinhalteplans sollte eigentlich im Oktober oder November öffentlich gemacht werden, damit der Plan 2019 in Kraft treten kann.
Tatsächlich gibt es aber neue Zahlen: Seit Mai 2018 wird erneut in der Schussenstraße gemessen, nicht wie bisher von der DEKRA, sondern von der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg. Die Behörde hat erst seit Frühjahr nach Angaben einer Mitarbeiterin Kapazitäten frei, um in Ravensburg zu messen. Im ersten Halbjahr 2018 haben Messungen in den Monaten Mai und Juni einen Mittelwert von 34 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft ergeben – der Grenzwert von 40 Mikrogramm wäre damit eingehalten. Die Behörde teilte auf Anfrage aber recht deutlich mit, dass die Datengrundlage zu gering sei, um von einem Halbjahresmittelwert zu sprechen: „Eine Prognose zur Einhaltung des Grenzwertes im Jahresmittel ist auf Basis dieses Wertes daher nicht möglich.“Zahlen für das zweite Halbjahr wurden noch nicht veröffentlicht. Beim Regierungspräsidium ist man sich wohl auch deshalb nicht so sicher wie im Ravensburger Rathaus, dass es keinen Luftreinhalteplan mehr braucht. Der Mittelwert von Mai bis Dezember 2018 könne sich noch deutlich von den 34 Mikrogramm unterscheiden, sagte RP-Sprecher Dirk Abel. Der jahrestypische Verlauf mit höheren Stickstoffdioxid-Konzentrationen im Winter nach geringen Konzentrationen im Sommerhalbjahr dürfte auch noch für einen Anstieg der Belastung sorgen.
Dennoch beruft sich das RP auf die vorläufigen Werte. Sie geben demnach die Tendenz der Entwicklung in der Schussenstraße wider, so Abel, die „auf eine sehr große Verbesserung der Luftqualität“hindeute. Weiter heißt es: „Wenn die Messungen 2018 auf eine Einhaltung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid schließen lassen, wird das Regierungspräsidium keinen Luftreinhalteplan mit restriktiven Maßnahmen wie beispielsweise Verkehrsbeschränkungen erarbeiten.“
Sollte es wirklich keinen Luftreinhalteplan geben, wäre das eine Kehrtwende in einer lange andauernden Geschichte: Seit Jahren ist klar, dass die Luft entlang der Hauptverkehrsader in Ravensburg stark verschmutzt ist. Stickstoffdioxid, das in zu hoher Konzentration vorhanden ist, ist ein ätzendes Reizgas, nach Angaben des Umweltbundesamtes schädigt es das Schleimhautgewebe im gesamten Atemtrakt und reizt die Augen. Atemnot, Husten, Bronchitis, Lungenödem, steigende Anfälligkeit für Atemwegsinfekte sowie Lungenfunktionsminderung können demnach die Folge sein.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Ravensburger Gemeinderat, Maria Weithmann, ist „fassungslos“angesichts der neuen Entwicklung. „Seit sieben Jahren wissen wir, dass in Ravensburg die Stickoxidgrenzwerte überschritten werden.“Ihr ist nicht bekannt, wann und wo nun erneut und wie lange gemessen wurde. „Vor allem ist es sicher nicht zulässig, einfach so lange zu messen, bis einem das Ergebnis passt.“
Und weiter sagt Weithmann: „Da bisher noch so gut wie keine der 100 vorgeschlagenen Maßnahmen umgesetzt wurde und wir alle täglich auf den Straßen die Zunahme des Verkehrsaufkommens beobachten können, wäre die Rücknahme der Forderung zur Erstellung des Luftreinhalteplans keine gute Nachricht für die Ravensburger Bevölkerung. Insbesondere wäre dies in Bezug auf den Gesundheitsschutz der Menschen an den stark befahrenen Straßen nicht verantwortbar.“
Über den aktuellen Stand der Schadstoffmessungen will das Regierungspräsidium den Ausschuss für Umwelt und Technik des Ravensburger Gemeinderats im November informieren.