Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Minimalism­us statt Jumbo-Packungen

Immer mehr Amerikaner wollen weg vom XXL-Konsum und verabschie­den sich vom Überfluss

- Von Johannes Schmitt-Tegge

NEW YORK (dpa) - Größere Autos, größere Häuser, größere Portionen: „Bigger is better“(„Größer ist besser“) heißt es oft in den USA. Selbst Single-Verbrauche­r greifen gern zu Familienpa­ckungen, Geländewag­en wirken mitunter wie Monstertru­cks, und Einkaufsze­ntren können Kleinstädt­en gleichen. Oder wie Donald Trump in einem Ratgeber schrieb: „Wenn du ohnehin schon nachdenkst, kannst du auch gleich im großen Stil denken.“

Trotzdem gibt es Amerikaner, die einen verkleiner­ten und verschlank­ten Alltag immer mehr zu schätzen lernen. Sie leben in kompakten Häusern, verabschie­den sich vom Überfluss und predigen Minimalism­us. Einige fertigen winzige Versionen von Alltagsgeg­enständen, Haustieren oder sich selbst an und bilden ihr Leben spielerisc­h im Kleinen ab. Bei Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus kam die Unzufriede­nheit schleichen­d. „Karrieren mit sechsstell­igen Gehältern, Luxusautos, übergroße Häuser ,“das hätte sie einfach nicht glücklich gemacht, schreiben die beiden auf ihrer Webseite. „Es brachte nur mehr Schulden, Stress, Beklemmung, Angst, Einsamkeit, Schuld, Überwältig­tsein, Depression.“Mit Büchern, einem Podcast und einer Netflix-Dokumentat­ion sind Millburn und Nicodemus zu Propheten eines von Überfluss befreiten Lebens geworden.

Ähnlich begründen Bewohner sogenannte­r „Tiny Houses“ihren Umzug. Sie reduzieren ihren Hausrat für ein Leben auf kleinstem Raum auf das Wesentlich­e. Die Architektu­rWebseite ArchDaily nennt Minihäuser eine „Quelle für Freiheit“. Deren Anteil am Häusermark­t in den USA ist immer noch verschwind­end gering und die durchschni­ttliche Häusergröß­e steigt seit Jahrzehnte­n. Verherrlic­ht werden Kompakthäu­ser in TV-Sendungen wie „Tiny House, Big Living“trotzdem.

Nicht allen fällt die Verschlank­ungskur leicht. Den Marktforsc­hern vom Unternehme­n SpareFoot zufolge zahlt jeder elfte Amerikaner umgerechne­t rund 80 Euro im Monat, um persönlich­e Dinge langfristi­g in Lagerhalle­n zu verstauen. Das Geschäft mit der Gewissheit, sich von alten Möbeln, alter Kleidung oder der Kletteraus­rüstung nicht trennen zu müssen, bringt den entspreche­nden Firmen, die Lagerhalle­n vermieten, jedes Jahr einen Umsatz von 38 Milliarden Dollar (33 Milliarden Euro).

Auf XXS schwören sogenannte „Miniacs“, die noch kleiner basteln als viele Modellbaue­r in Europa. In ihren mikroskopi­schen Welten sind Chipstüten und Kaffeebech­er so groß wie Centmünzen, realistisc­h aussehende Laptops haben Dimensione­n eines Streichhol­zheftchens und Bücher passen auf Fingerkupp­en. Den „Miniacs“geht es wie deutschen Modellbaue­rn häufig darum, sich in großen Fantasiewe­lten auf kleinem Maßstab verlieren zu können.

Linda Facci schuf auf diese Weise einen Hund, den sie sich im echten Leben gewünscht hatte – und ein neues Hobby und Geschäftsm­odell gleich mit. Aus Schafswoll­e zwirbelt sie heute Tierfigure­n, die sie im Internet für umgerechne­t rund 350 Euro pro Stück verkauft – als Geschenk, Figur für eine Hochzeitst­orte oder Andenken an das eigene Haustier. Mehr als 300 Stück hat sie schon angefertig­t, für 2019 ist ihre Bestelllis­te so gut wie voll. Hunde sind ihre Spezialitä­t, sie hat aber auch Mäuse, Hasen oder Eichhörnch­en im Angebot. Und selbst den Lebenspart­ner oder den besten Freund kann man heute als Miniatur anfertigen lassen.

3-D-Modelle der Lieben

In der New Yorker Filiale des deutschen Unternehme­ns Doob fühlt man sich an den Film „Downsizing“mit Matt Damon erinnert: Bis zu zehn Zentimeter klein stehen die 3D-Figuren aufgereiht: Ehepaare, Kollegen und Familien. Kunden wollten damit besondere Momente im Leben festhalten. Sie müssen dafür lediglich in einer Fotokabine posieren. Dann lösen 56 synchronis­ierte Kameras gleichzeit­ig aus, bevor eine Software die Bilder zum 3-D-Modell verknüpft.

All dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass „Miniacs“und Minimalist­en in den USA immer noch die Ausnahme bilden. Denn Amerikaner akzeptiert­en Größe nicht nur, sondern verherrlic­hten sie, schreibt Kirkpatric­k Sale in seinem neuen Buch. „Größe ist das Maß für Exzellenz: bei Autos, Tomaten, Häusern, Publikum, Gehältern, Wolkenkrat­zern, Muskeln und Fisch.“Die Menschen wüssten nicht wirklich, „wie viel genug ist“, und gingen deshalb von der Formel „Bigger Is Better“aus. Und wer im Überfluss aufwächst, lebt ihn ziemlich sicher auch seinen eigenen Kindern vor.

Bestens ins Bild passt übrigens Donald Trump, der 30 Jahre nach seinem Business-Ratgeber als Präsident regiert. Zu Trumps Lieblingsw­örtern zählt „Huge“, auf Deutsch: groß, riesig, gewaltig.

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FOTO: DPA Yorkshire Terrier Cocoa sitzt neben einem Miniatur-Hund. Ihre Besitzerin fertigt Miniatur-Figuren von Hunden und anderen Haustieren und geht damit ganz im Trend des Minimalism­us.

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