Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Minimalismus statt Jumbo-Packungen
Immer mehr Amerikaner wollen weg vom XXL-Konsum und verabschieden sich vom Überfluss
NEW YORK (dpa) - Größere Autos, größere Häuser, größere Portionen: „Bigger is better“(„Größer ist besser“) heißt es oft in den USA. Selbst Single-Verbraucher greifen gern zu Familienpackungen, Geländewagen wirken mitunter wie Monstertrucks, und Einkaufszentren können Kleinstädten gleichen. Oder wie Donald Trump in einem Ratgeber schrieb: „Wenn du ohnehin schon nachdenkst, kannst du auch gleich im großen Stil denken.“
Trotzdem gibt es Amerikaner, die einen verkleinerten und verschlankten Alltag immer mehr zu schätzen lernen. Sie leben in kompakten Häusern, verabschieden sich vom Überfluss und predigen Minimalismus. Einige fertigen winzige Versionen von Alltagsgegenständen, Haustieren oder sich selbst an und bilden ihr Leben spielerisch im Kleinen ab. Bei Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus kam die Unzufriedenheit schleichend. „Karrieren mit sechsstelligen Gehältern, Luxusautos, übergroße Häuser ,“das hätte sie einfach nicht glücklich gemacht, schreiben die beiden auf ihrer Webseite. „Es brachte nur mehr Schulden, Stress, Beklemmung, Angst, Einsamkeit, Schuld, Überwältigtsein, Depression.“Mit Büchern, einem Podcast und einer Netflix-Dokumentation sind Millburn und Nicodemus zu Propheten eines von Überfluss befreiten Lebens geworden.
Ähnlich begründen Bewohner sogenannter „Tiny Houses“ihren Umzug. Sie reduzieren ihren Hausrat für ein Leben auf kleinstem Raum auf das Wesentliche. Die ArchitekturWebseite ArchDaily nennt Minihäuser eine „Quelle für Freiheit“. Deren Anteil am Häusermarkt in den USA ist immer noch verschwindend gering und die durchschnittliche Häusergröße steigt seit Jahrzehnten. Verherrlicht werden Kompakthäuser in TV-Sendungen wie „Tiny House, Big Living“trotzdem.
Nicht allen fällt die Verschlankungskur leicht. Den Marktforschern vom Unternehmen SpareFoot zufolge zahlt jeder elfte Amerikaner umgerechnet rund 80 Euro im Monat, um persönliche Dinge langfristig in Lagerhallen zu verstauen. Das Geschäft mit der Gewissheit, sich von alten Möbeln, alter Kleidung oder der Kletterausrüstung nicht trennen zu müssen, bringt den entsprechenden Firmen, die Lagerhallen vermieten, jedes Jahr einen Umsatz von 38 Milliarden Dollar (33 Milliarden Euro).
Auf XXS schwören sogenannte „Miniacs“, die noch kleiner basteln als viele Modellbauer in Europa. In ihren mikroskopischen Welten sind Chipstüten und Kaffeebecher so groß wie Centmünzen, realistisch aussehende Laptops haben Dimensionen eines Streichholzheftchens und Bücher passen auf Fingerkuppen. Den „Miniacs“geht es wie deutschen Modellbauern häufig darum, sich in großen Fantasiewelten auf kleinem Maßstab verlieren zu können.
Linda Facci schuf auf diese Weise einen Hund, den sie sich im echten Leben gewünscht hatte – und ein neues Hobby und Geschäftsmodell gleich mit. Aus Schafswolle zwirbelt sie heute Tierfiguren, die sie im Internet für umgerechnet rund 350 Euro pro Stück verkauft – als Geschenk, Figur für eine Hochzeitstorte oder Andenken an das eigene Haustier. Mehr als 300 Stück hat sie schon angefertigt, für 2019 ist ihre Bestellliste so gut wie voll. Hunde sind ihre Spezialität, sie hat aber auch Mäuse, Hasen oder Eichhörnchen im Angebot. Und selbst den Lebenspartner oder den besten Freund kann man heute als Miniatur anfertigen lassen.
3-D-Modelle der Lieben
In der New Yorker Filiale des deutschen Unternehmens Doob fühlt man sich an den Film „Downsizing“mit Matt Damon erinnert: Bis zu zehn Zentimeter klein stehen die 3D-Figuren aufgereiht: Ehepaare, Kollegen und Familien. Kunden wollten damit besondere Momente im Leben festhalten. Sie müssen dafür lediglich in einer Fotokabine posieren. Dann lösen 56 synchronisierte Kameras gleichzeitig aus, bevor eine Software die Bilder zum 3-D-Modell verknüpft.
All dies täuscht aber nicht darüber hinweg, dass „Miniacs“und Minimalisten in den USA immer noch die Ausnahme bilden. Denn Amerikaner akzeptierten Größe nicht nur, sondern verherrlichten sie, schreibt Kirkpatrick Sale in seinem neuen Buch. „Größe ist das Maß für Exzellenz: bei Autos, Tomaten, Häusern, Publikum, Gehältern, Wolkenkratzern, Muskeln und Fisch.“Die Menschen wüssten nicht wirklich, „wie viel genug ist“, und gingen deshalb von der Formel „Bigger Is Better“aus. Und wer im Überfluss aufwächst, lebt ihn ziemlich sicher auch seinen eigenen Kindern vor.
Bestens ins Bild passt übrigens Donald Trump, der 30 Jahre nach seinem Business-Ratgeber als Präsident regiert. Zu Trumps Lieblingswörtern zählt „Huge“, auf Deutsch: groß, riesig, gewaltig.