Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Leben zwischen alter und neuer Heimat
Neue Ausstellung im Museum Humpisquartier rückt die Gastarbeiter in den Mittelpunkt
RAVENSBURG - 1955 waren 99 Prozent der Einwohner Ravensburgs Deutsche. 1973 lag der Ausländeranteil bei acht Prozent. Hintergrund für diese Entwicklung war die massive Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Eine neue Ausstellung im Museum Humpisquartier beleuchtet diesen Teil der Ravensburger Stadtgeschichte.
„Heimat - Fremde: Ravensburger Gastarbeiter erzählen“ist der Titel der Schau, die am 27. Oktober eröffnet wird. In ihrem Mittelpunkt stehen über 30 Zeitzeugen, die über ihr Leben in Ravensburg, aber auch ihre Zerrissenheit zwischen alter und neuer Heimat berichten. Daneben ordnet die Ausstellung diese Zeit der deutschen Nachkriegsgeschichte sachlich ein.
Das deutsche Wirtschaftswunder sorgte von den 1950er-Jahren an zu einem massiven Mangel an Arbeitskräften in der Bundesrepublik. Es wurden daher Anwerbeabkommen mit mehreren Ländern am Mittelmeer geschlossen, um ausländische Arbeitnehmer für die deutsche Wirtschaft zu akquirieren. Da diese Menschen sich nur für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland aufhalten sollten, wurde für sie der Begriff Gastarbeiter gebräuchlich.
Viele von ihnen blieben auch nur Gäste auf Zeit. Zwischen 1955 und 1973 kamen 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte in die Bundesrepublik, elf Millionen gingen wieder in ihr Heimatland zurück, berichtete Andreas Schmauder, Leiter des Ravensburger Museums Humpisquartier, bei einer Vorabbesichtigung der neuen Ausstellung. Der Rest blieb, aus ganz unterschiedlichen Motiven. In Ravensburg fanden die ersten Gastarbeiter vor allem Arbeit in der Textilindustrie, im Maschinenbau und im Bausektor. Zuerst kamen die Italiener, dann änderte sich nach und nach die Zusammensetzung der ausländischen Arbeitnehmer. Die meisten Gastarbeiter in Ravensburg stammen aus (dem ehemaligen) Jugoslawien, danach stellen Türken und Italiener die größten Gruppen.
Schwerpunkt Einwanderung
Der Schwerpunkt der Ausstellung in Ravensburg liegt auf den Einwanderern der ersten Generation, aber auch deren Kinder und Enkel kommen zu Wort. Die Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Katharina Blümling hat mit über 30 Zeitzeugen Interviews geführt. Auf drei Leinwänden erzählen sie in Filmbeiträgen ihre Geschichten. Das sind beeindruckende Filmdokumente. Die Frauen und Männer berichten über die Herausforderungen und Schwierigkeiten eines neuen Lebens in einem fremden Land. Vor allem aber spielen Themen eine Rolle wie: Wo gehöre ich hin? Bleibe ich hier oder gehe ich zurück? Wo ist meine Heimat? Die Ausstellung stellt daneben die Themen dar, mit denen sich die Gastarbeiter konfrontiert sahen. Neben der Arbeitswelt geht es da unter anderem um die Bereiche Wohnen, Sprachbarriere, Bürokratie, das Zusammenleben mit den Einheimischen. Auch die Bemühungen, Integration zu fördern, werden beleuchtet.