Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Eine einsame Entscheidung
Angela Merkel kündigt ihren Rückzug als CDU-Chefin an
- Sie weiß um das Risiko einer Ämtertrennung. Sie hat ihn bei ihrem Vorgänger Gerhard Schröder beobachten können, jenen rapiden Verlust des Ansehens nach der Aufgabe des SPD-Vorsitzes. Und doch hat sie sich für dieses Modell entschieden. Angela Merkel gibt das Amt der CDU-Parteichefin auf, will aber Kanzlerin bleiben.
Etwas blass, aber lächelnd tritt Angela Merkel vor die Presse im Adenauer-Haus. 18 Jahre lang sei sie Vorsitzende der CDU Deutschland gewesen, und das „mit Leidenschaft und Hingabe“. Seit 13 Jahren sei sie Kanzlerin, und es sei ihr „eine tägliche Ehre und Herausforderung“. Kanzlerin will sie auch bleiben, aber die vierte Amtszeit soll ihre letzte sein, „Ich werde nicht mehr antreten“, sagt Merkel. Und sie strebe auch keine anderen politischen Ämter an, um auch das gleich klarzustellen. Denn in letzter Zeit wurde spekuliert, Merkel könne nach Brüssel wechseln.
Und dann kommt, auf eine Nachfrage hin, was sie denn nach 2021 mache, eine Antwort mit der typischen Merkel-Art des trockenen Humors: „Ich mache mir keine Sorgen, es könnte mir nichts einfallen.“
Kohls Mädchen
Vor fast drei Jahrzehnten begann Merkels Aufstieg in der Bundespolitik, als der damalige Kanzler und CDU-Chef Helmut Kohl auf die junge Politikerin aus dem Osten aufmerksam wurde. Nach der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 machte er Merkel zur Bundesministerin für Frauen und Jugend. Später zur Umweltministerin. Lange Zeit galt sie als „Kohls Mädchen“oder, wie sie selbst einmal beklagte, als „abgeleitete Größe“. Das sollte sich ändern. 1998 wurde sie Generalsekretärin der CDU, und als Helmut Kohl in den Sog der Spendenaffäre geriet, war sie es, die seinen Sturz initiierte. „Die Partei muss laufen lernen, muss sich zutrauen, in Zukunft auch ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich oft selbst gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen. Sie muss sich wie jemand in der Pubertät von zu Hause lösen, eigene Wege gehen.“Das schrieb Merkel in der FAZ, es war ein Scheidebrief. Kohl zog sich tief getroffen zurück, ein Jahr später trat auch Nachfolger Schäuble als Parteivorsitzender zurück und Merkel tingelte durch die Regionalversammlungen der CDU, um für sich zu werben. Ende 2000 wurde sie in Essen zur Parteivorsitzenden gekürt.
Zustimmung schwindet
Es wurden 18 Jahre, in denen sie mit großen Mehrheiten ein ums andere Mal in ihrem Amt bestätigt wurde. Doch seit sie 2015 die Flüchtlinge in Deutschland willkommen hieß, schrumpfte die Zustimmung in der Partei. Die CDU ist eine Kanzlerpartei oder, wenn man so will, eine Kanzlerinpartei, die sich gerne der Macht unterordnet und Kritik nicht allzu laut werden lässt. Und doch gärte es in der Partei, und die Stimmen jener, die eine Ablösung forderten, wurden zahlreicher. Man müsse einen neuen Aufbruch wagen, sagt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer nach Merkels Ankündigung. Er meint, man merke jetzt schon, dass die Themen im Vorstand offener besprochen werden, gerade beim Thema Migration.
Ganz einsam hat Merkel ihre Entscheidung getroffen, sie hat mit niemand darüber geredet. Schon vor der Sommerpause hat sie sich überlegt, nicht noch einmal als Parteivorsitzende anzutreten.
Letzte Möglichkeit
„Sie hat den letztmöglichen Zeitpunkt erwischt, von sich aus zu gehen“, meinen einige. „Ich habe mir vorgenommen, die Ämter in Würde zu tragen und in Würde zu verlassen“, sagt Merkel selbst an diesem Tag im Adenauer-Haus. „Respekt“, „Anerkennung“, „Dank“, das sind die Vokabeln, die man bei den Politikern in der CDU-Zentrale immer wieder hört. Und die Vorsitzende der Frauen Union, Annette Widmann-Mauz, nennt Angela Merkel gar eine „Ikone für Frauen weltweit“. Sogar CSUChef Horst Seehofer findet es „schade“, dass sie aufhört. Vielleicht auch, weil sich der Druck auf ihn, als CSUChef zurückzutreten, verschärfen wird.
In ihrer Zeit als CDU-Chefin hat Merkel die Achse der Partei nach links verschoben. Angefangen hat sie ganz anders. Auf dem berühmten Leipziger Reformparteitag von 2003 trat sie an, das gesamte Sozialsystem zu reformieren. Jeder sollte die gleiche Prämie für seine Gesundheit zahlen. Kopfprämie nannten es die Kritiker. Die Steuererklärung sollte auf einen Bierdeckel passen, wie jener Friedrich Merz forderte, der sich jetzt als Nachfolger in Stellung bringt.
Doch von diesem Kurs hat Merkel sich schnell wieder verabschiedet. Sie habe die CDU sozialdemokratisiert, ist der immer wiederkehrende Vorwurf – von der Homo-Ehe über die Wehrpflichtabschaffung bis zur doppelten Staatsbürgerschaft, Mindestlohn und der sehr großzügigen Aufnahme von Flüchtlingen. Sie hat die CDU modernisiert, sagen ihre Anhänger, sie habe nicht nur alte Männer, sondern auch junge Frauen angesprochen.
Das alles wird auf dem Hamburger Parteitag Anfang Dezember wohl nicht mehr zu Sprache kommen, wenn die CDU einen neuen Chef wählt. Dann wird die Vorsitzende als Politikerin verabschiedet werden, die über Jahre hinweg nicht nur die CDU erfolgreich führte, sondern auch die Regierung.
Autoritätsverlust garantiert
Doch die 64-Jährige ist künftig, wie die Amerikaner es nennen, eine „lame duck“, eine lahme Ente, deren Autorität angesichts des nahenden Endes schwinden wird. Ob sie denn als Kanzlerin auch zum Beispiel mit einem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, immer einer ihrer schärfsten Gegner, zusammenarbeiten könne, wird sie gefragt. Sie könne mit ziemlich vielen Menschen zusammenarbeiten, sagt sie kurz.
Warum tut sie sich das an? Warum will sie das Kanzleramt behalten? „Alles hat Vor- und Nachteile“, sagt sie. Sie weiche von ihrer Überzeugung, dass Parteivorsitz und Kanzleramt zusammengehören ab, weil die Bundesregierung endlich die Kräfte auf gutes Arbeiten konzentrieren müsse. Merkel erinnert noch einmal an die letzten Monate der Großen Koalition. An die quälend lange Regierungsbildung mit dem Scheitern von Jamaika, an die Verluste jetzt bei den Landtagswahlen. Das sei ein deutliches Signal gewesen, dass es so nicht weitergeht. „Wir müssen so arbeiten, dass es Menschen nicht abstößt“, sagt Merkel. Und eine neue CDU-Führungsmannschaft könne sich auf die Zeit nach ihr einstellen.
Verzicht auf das falsche Amt
Das wird erfahrungsgemäß schneller geschehen als geplant. „Frau Merkel verzichtet auf das falsche Amt“, stellte bereits FDP-Chef Christian Lindner fest. Auf diese Art werde das Siechtum der Großen Koalition nur verlangsamt.
Angela Merkel sieht dies anders. Deutschland zu dienen sei eine erfüllende Aufgabe, sagt sie. Dass sie es so lange tun darf, dafür sei sie dankbar. Und jetzt könne man die Wahl in Hessen als Zäsur nehmen, als Chance, ein neues Kapitel aufzuschlagen.