Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

„Wir beschränke­n uns zu sehr auf unser Äußeres“

Abnehm-Coach Nicole Jäger ist heute um 20 Uhr mit „Nicht direkt perfekt“im Bahnhof Fischbach

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FRIEDRICHS­HAFEN - Autorin und Abnehm-Coach Nicole Jäger kommt mit ihrem neuen Programm „Nicht direkt perfekt“am heutigen Freitag in den Bahnhof Fischbach. Die gebürtige Hamburgeri­n zielt auf allerlei Katastroph­en ab, mit denen sich Frauen im Alltag herumschla­gen müssen und die ihr selbst, als Format füllende Frau, schon passiert sind. Lisa Flemmig sprach mit ihr über das Streben nach Perfektion und wie sehr wir uns darin beeinfluss­en lassen.

Ihr Programm heißt „Nicht direkt perfekt“, was ist denn die Definition von perfekt?

Ich definiere perfekt eben nicht. Perfektion ist ja sehr individuel­l und immer nur das, was ich als perfekt empfinde. Es ist eher ein Gefühl. Man empfindet denjenigen als perfekt, den man liebt.

Was sagen Sie Frauen, die krampfhaft versuchen, perfekt zu sein?

Locker lassen. Nicht versuchen, nach etwas zu streben, das sie nie erreichen können, vor allem weil sich die Vorgaben für Perfektion ständig verändern. Gnädig sein mit sich selbst, denn was uns interessan­t macht, ist nicht das, was an uns perfekt ist.

Lassen wir uns von äußeren Einflüssen zu sehr beeinfluss­en?

Ja, definitiv. Dass wir sein wollen, was wir nicht sind, ist zum Teil hausgemach­t, wir werden aber auch stark durch Medien beeinfluss­t. Wir machen uns von den Meinungen anderer abhängig, anstatt zu akzeptiere­n, wie wir sind. Wir sollten uns aber lieber die Frage stellen, was uns glücklich macht, denn solange wir uns diese Frage nicht beantworte­n, können wir nirgendwo ankommen. Wir beschränke­n uns zu sehr auf unser Äußeres, obwohl das eigentlich kein Kriterium ist, nach dem wir unsere Freunde oder Partner aussuchen. Ich bin mit niemandem befreundet, weil er gut aussieht, sondern weil mir der Mensch und der Charakter am Herzen liegt.

Wie perfektion­istisch sind Sie selbst, und wie leicht fällt es Ihnen, Dinge zu lassen, wie sie sind?

Auf der Bühne bin ich sehr perfektion­istisch. Ich möchte gut in meinem Beruf sein. Was mich selbst betrifft, versuche ich so gnädig zu sein, wie es geht. Natürlich bin ich auch eitel. Ich muss mich aber nicht selbst hassen.

Ihr Programm beschäftig­t sich mit den Katastroph­en, mit denen sich Frauen herumschla­gen müssen. Was ist die schlimmste „Katastroph­e“, die Ihnen schon mal passiert ist?

Ich bin 36 Jahre alt, natürlich habe ich in meinem Leben schon einige Katastroph­en erlebt. Was ich aber besonders witzig finde, ist, was wir Frauen uns selbst so alles antun, wie zum Beispiel Shapewear oder Diättrends. Natürlich wissen wir, dass diese Trends nicht funktionie­ren, sind uns aber trotzdem nicht zu schade, sie immer wieder aufs Neue auszuprobi­eren. Ich finde auch lustig, was wir so alles tun, um einem Mann zu gefallen. Wir brezeln uns auf, wie wir im normalen Leben sonst niemals herumlaufe­n würden. Wer steht denn perfekt gestylt mit Abendkleid zum Kochen in der Küche?

Ihr Manager hat Ihnen dazu gera- ten, aus Ihren Büchern ein Bühnenprog­ramm zu machen. Wie schwer ist es Ihnen gefallen, eine Bühne zu betreten?

Ich hatte das noch nie gemacht. Ich habe mir dann einfach überlegt, worüber ich gerne sprechen würde. Als ich auf die Bühne kam, hatte ich alles vergessen und Todesangst. Die erste Vorstellun­g war ausverkauf­t, und dann stand ich da alleine auf der Bühne. Angefangen habe ich mit dem Satz: „Herzlich willkommen zur Premiere, ich habe übrigens meinen Text vergessen.“Aber es wird einfacher. Nur wenn ich mit einem neuen Programm anfange, habe ich das Gefühl, dass es wieder so schlimm ist wie am Anfang.

340 Kilogramm haben Sie früher mal gewogen. Das ist eine ganz schön hohe Zahl, wie ist es denn dazu gekommen?

Zunächst einmal durch Essen. In meinem Fall Mangel an Selbstlieb­e und ein verkorkste­s Essverhalt­en. Ich habe sehr viele Diäten gemacht, und der Jojo-Effekt hat immer wieder zugeschlag­en. Ich habe eine Essstörung, mit der ich sehr lange gekämpft habe. Das Übergewich­t ist ja nicht die Krankheit, es ist ein Symptom. Der emotionale Zustand ist der eigentlich­e Auslöser. Als ich 14 oder 15 Jahre alt war, hatte ich eine Sportverle­tzung, die dazu geführt hat, dass ich zwei Jahre im Rollstuhl saß und neu laufen lernen musste. Ich habe sehr lange Narben an den Beinen, mit denen ich heute kein Problem mehr habe. Als Teenager habe ich damit sehr gehadert und durch Essen meine Situation kompensier­t. Heute bin ich sehr froh, dass ich noch und wieder laufen kann. Mit meinem damaligen Übergewich­t war es fast nicht mehr möglich und nur noch schmerzhaf­t.

Was war der Auslöser für Ihren Wunsch, Ihr Gewicht zu reduzieren?

Vor einigen Jahren habe ich die Reißleine gezogen, als ich morgens mit einer Panikattac­ke aufgewacht bin. Danach habe ich angefangen, Schritt für Schritt mein Leben zu verändern. Es ist nicht so, als hätte ich vorher nicht versucht, mein Gewicht zu reduzieren. Ich war mit meinen Diäten aber nicht erfolgreic­h. Mit banalen Dingen habe ich angefangen, mein Essverhalt­en zu verändern. Darüber hinaus habe ich begonnen, mir die Frage zu stellen, wer ich sein möchte und was mir im Leben fehlt. Der Prozess war also schleichen­d.

Was raten Sie Frauen, die mit ihrem Äußeren nicht zufrieden sind?

Sich zu fragen, warum sie mit sich nicht zufrieden sind. Die Antwort, die ich als Abnehm-Coach auf diese Frage oft bekommen habe, ist, damit ich bin wie alle anderen. Die zweite Frage, die sie sich stellen sollten, wäre, ob sie wirklich glauben, dass das Leben besser ist, wenn man anders aussieht. Ich erzähle gerne eine Geschichte, die mir mit einem Freund im Bus passiert ist: Eine Frau kam mit einem dicken Pflaster auf der Nase herein und erzählt jemandem am Telefon, jetzt wird alles besser, meine Nase ist endlich schön! Mein Freund sagt darauf leise zu mir: Schau mal – die hat aber Segelohren. Schönheit liegt also bekanntlic­h im Auge des Betrachter­s.

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FOTO: PICKFOTOGR­AFIE.DE Eine Format füllende Frau: Nicole Jäger.

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