Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Ein ganz normales Leben
Catrina hat einen offenen Rücken – 13-Jährige lässt sich von der Krankheit nicht aufhalten
- Nach der Schule zum Pferd gehen, zweimal pro Woche in der Musikschule Klarinette spielen und das alles, obwohl dreimal Nachmittagsunterricht auf dem Stundenplan steht? Ein straffes Programm für eine 13-Jährige, zumal auch noch die wöchentliche Krankengymnastik dazukommt. Für Catrina Gässler aus Obereisenbach und ihre Familie ist das eine ganz besonders große Herausforderung. Die Schülerin leidet seit ihrer Geburt an Spina bifida, besser bekannt als „offener Rücken“.
Dieser wird nach der Geburt operativ geschlossen, aber die Nervenstränge in der Wirbelsäule bleiben irreparabel verletzt. „Je nachdem, in welcher Höhe sich der Defekt am Rückenwirbel befindet, ist auch die Schwere der körperlichen Beeinträchtigung“, erklärt die Mutter, Birgit Gässler.
Catrina ist froh darüber, mit zwei Unterschenkelorthesen laufen zu können, auch wenn es eine ziemliche Anstrengung bedeutet. Schwierig ist es, mit den Händen etwas zu transportieren, etwa ein Tablett oder ein Glas Wasser. Deshalb bekommt sie in der Schule Unterstützung von einer Helferin, beispielsweise beim Mittagessen. „Klar würde ich das lieber selbst machen, aber das schaffe ich leider nicht“, erklärt die Schülerin. Sie besucht die achte Klasse der Manzenberg-Gemeinschaftsschule in Tettnang. Ihre Lieblingsfächer? „An erster Stelle steht Musik, aber auch Englisch und Französisch mag ich ganz gern“, erklärt die 13-Jährige. Weniger beliebt ist dafür Mathe. Seit kurzem fährt sie ein Liege-E-Bike mit drei Rädern und kommt damit sehr gut zurecht. Der Aktionsradius hat sich seither erheblich vergrößert.
Ihr zehnjähriger Bruder Ben ist für Catrina eine Unterstützung. „Auch wenn sie es nicht immer merkt“, sagt Birgit Gässler mit einem Schmunzeln. Und klar, es gibt auch mal Streit, wie das unter Geschwistern so üblich ist.
Für Birgit und Karl Gässler ist es wichtig, ihrer Tochter ein Leben mit so viel Normalität wie möglich zu bieten. Eine wichtige Rolle in Catrinas Leben spielen die Pferde, denn Tiere liebt sie schon immer. Mit neun Jahren hat sie begonnen, zu reiten. Karl-Heinz Wiedemann, ein Freund der Familie, übernahm das Training mit einem seiner Pferde. Am Anfang ging es nur im Schritt auf den Pferderücken. Die Balance zu halten und mit den Bewegungen mitzugehen, war gar nicht so einfach für Catrina, die wenig Kraft in den Beinen hat und diese auch nicht so leicht koordinieren kann. Aber Spaß machte es und das Gleichgewichtsgefühl und die Muskulatur verbesserten sich zusehends. Kein Wunder, dass der Wunsch nach einem eigenen Pferd in Catrina wuchs. Die Eltern allerdings wiesen diesen Gedanken erstmal weit von sich. „Aber wenn sich unsere Tochter und KarlHeinz zusammen etwas in den Kopf gesetzt haben, wird es schwierig, dagegen zu halten“, erklärt Birgit Gässler. Und so kam es, dass vor zwei Jahren die inzwischen 17-jährige Freiberger Stute Esmeralda mit ihrem Freund Billy, einem Norwegerpony, in den Stall zog. Esmeralda war zuvor für therapeutische Reitstunden eingesetzt worden und kannte die Arbeit mit Menschen, die ein Handicap haben. „Billy gab es von den Vorbesitzern on top dazu, denn Esmeralda bleibt nicht gerne alleine“, so Karl Gässler. Also musste ein neuer Stall her, was auf dem Bauernhof der Familie zum Glück kein Problem war. Dieser ist hell und luftig und verfügt über ein Paddock, damit die Pferde selbst raus- und reingehen können. „Wir haben ihn so gebaut, dass überall nur kurze Wege zu laufen sind, damit Catrina beim Misten und Füttern helfen kann“, beschreibt der Vater die Anforderungen. Und das macht sie auch.
Einmal wöchentlich geht es mit dem Pferdehänger in die nahe gelegene Reithalle nach Krumbach zur Reitstunde bei Karl-Heinz Wiedemann. Meistens mit dabei sind Freundin Emilia und Cousine Lisa, die nicht nur beim Reiten ein eingeschworenes Team sind. Vor kurzem waren Catrina und Esmeralda das erste Mal auf einem Reitertag. Mit großem Erfolg, denn das Paar schlug sich hervorragend und Catrina freute sich über den Titel Landeschampionesse für Reiter mit körperlichem Handicap. „Das ist eine Entwicklung, mit der niemand gerechnet hätte“, lobte der Trainer seine Schülerin. Vor kurzem hat Catrina die Prüfung zum Reitabzeichen Nr.7 abgelegt. „Die Richter haben gar nicht gemerkt, dass ich ein Handicap habe“, berichtet sie stolz.
Wie es außerhalb der Schule weitergeht? Was Turniere anbelangt, haben Catrina und Karl-Heinz noch einiges vor im nächsten Jahr. Auch das Klarinettespielen macht der 13-Jährigen viel Freude. Immerhin bestreitet sie mit der Jungmusikergruppe und ab und zu im Vororchester schon so manches Konzert. Das von der Schule geforderte Praktikum im nächsten Jahr leistet sie bei Tierarzt Alexander Baumann in Bodnegg ab. Der erste Nachmittag hat bereits stattgefunden. „Es hat richtig Spaß gemacht und ich freue mich schon auf das nächste Mal“, sagt Catrina.