Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Sechs Jahrzehnte moderne Kunst am Bodensee
Zeppelin-Museum macht einen breiten Horizont auf und zeigt dabei auch Entlegenes - Eröffnung am Sonntag
FRIEDRICHSHAFEN - Erst seit August ist Mark Niehoff als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zeppelin-Museum beschäftigt. In dieser Zeit hat er das Kunstarchiv des Hauses erkundet und kuratiert nun seine erste Ausstellung: „Aufbruch ins Unbekannte. Die Klassische Moderne am Bodensee“. Eröffnet wird sie am Sonntag, 9. Dezember, um 11 Uhr
Es ist eine Schau, die man gesehen haben sollte, weil sie Kunst und Künstler zeigt, die am Bodensee verankert sind – und weil unter den 90 Exponaten viele sind, die das Museum entweder selten, schon lange nicht mehr oder noch nie gezeigt hat. Darunter ist auch der Blick auf die zerstörte Kirche St. Nikolaus – ein Aquarell von Fritz Kettnacker, gemalt um 1950; kein Großwerk, aber durch den städtischen Bezug zu Recht ausgewählt.
Einen hohen Stellenwert unter den wenig gezeigten Künstlern nimmt Maria Caspar-Filser ein, „die besser gemalt hat als ihr Mann Karl, aber leider fast vergessen ist“, so Niehoff. Dass Caspar-Filser hier gezeigt wird, ist auch deshalb erfreulich, weil das Museum Langenargen erst in diesem Sommer das Werk von Felicitas Köster-Caspar zeigte, der gemeinsamen Tochter des Künstlerpaars. Einbezogen werden auch Marta Hoepffners Arbeiten, von der die Lände Kressbronn viele Werke besitzt. Wer sie nur als experimentelle Fotografin kennt, lernt sie hier als Stillleben-Malerin kennen.
So eröffnet diese Ausstellung zahlreiche Bezüge zu anderen Häusern in der Region. Kein Wunder, denn zu den ausgestellten Künstlern zählen Willi Baumeister, der am Bodensee Zuflucht vor den Nationalsozialisten fand; André Ficus, dessen Nachlass in Friedrichshafen von privater Hand verwaltet wird; natürlich auch Hans Purrmann. Von diesem Wahl-Langenargener hat wiederum das Museum Langenargen weiteres im Besitz. Im Fall von Otto Dix, Max Ackermann, Andreas Feininger und Karl Hayek Kunze verfügt das Zeppelin-Museum selbst über die größten Bestände weit und breit.
Kurator Mark Niehoff gliedert die Ausstellung in acht Bereiche: Porträts, Landschaft, Großstadt, Krieg, Religion, Akte, Stillleben und Abstraktion. Diese Kapitel sind klug gehängt. Das zeigt das Ölbild „Kiesgrube“von Adolf Hölzel. Es ist den Landschaften zuzurechnen, hängt dort aber in unmittelbarer Nachbarschaft zur Abstraktion. Mit gutem Grund, denn es handelt sich bei dieser unauffälligen Arbeit um eines der frühesten Beispiele abstrakter Malerei überhaupt.
Die Ausstellung fasst die Entwicklung der Moderne am See von 1900 bis gegen 1960 ins Auge. Kaiserreich, Erster Weltkrieg, Weimarer Republik, Drittes Reich, Zweiter Weltkrieg, Bundesrepublik – Zeiten extremer Verwerfungen und auseinanderstrebender künstlicher Strömungen. Freundschaften gab es dennoch, wie zwischen Franz Lenk und Otto Dix. Lenk, gebürtiger Sachse, hatte sich im Dritten Reich ins abgeschiedene Wilhelmsdorf zurückgezogen; und er hatte Dix in seinem Exil in Hemmenhofen ermutigt, wieder mit der Landschaftsmalerei zu beginnen. Aber während Lenk im Jahr 1944 eine fast fotografisch getreue neusachliche Bodenseeansicht malt, entsteht zeitgleich von Dix ein Bodenseemotiv mit unheilvoll dräuender Gewitterstimmung und rotgelbem Wald, der an angeschwollene innere Organe erinnert. Dix lädt im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs die Landschaft mit jener Kreatürlichkeit auf, die seine Darstellungen aus dem ersten Weltkrieg prägte – nur dass er dort verrottende Soldaten in aller Unmittelbarkeit zeigte.
Friedlicher sind die Akte: Karl Caspar, 1879 in Friedrichshafen geboren, malt 1914 sein Bild „Frauen am Meer“als Idylle, in der Mensch und Natur eine Einheit bilden. Erkennbar ist das an der Farbgebung: „Caspar führt die Farbe des Sandes in den Figuren weiter“, sagt Niehoff. Erfreulich ist, dass auch hier ein leider nur noch halbprominenter Künstler beteiligt wird: Curth Georg Becker aus Singen, der mit zwei Akten präsentiert wird. Es gibt in dieser Ausstellung viele Entdeckungen zu machen.