Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Politisch, persönlich und emotional
Zeppelinkonzernchef Peter Gerstmann erzählt gemeinsam mit Friederike Lutz aus seinem Leben
FRIEDRICHSHAFEN – „Die Chinakladde – eine lyrisch musikalische Reise zurück“haben Peter Gerstmann und Friederike Lutz ihr Programm am Freitagabend im Gessler 1862 genannt. Zwei dieser Notizbücher im DIN-A5-Format hat Peter Gerstmann, heute Konzernchef der Zeppelin GmbH, mitgebracht, gespickt mit Texten und Liedern, die ihn berührten, die einfach seinen Nerv trafen und ihn in seiner Biografie begleitet haben.
Während Peter Gerstmann in die Gitarrensaiten greift und dazu aus der Kladde Lieder singt oder Texte erläutert, liest Friederike Lutz Auszüge ausgesuchter Texte deutscher Autoren vor. So begleiten die gut 50 Zuhörer die Zeitreise in die 1980erJahre des Peter Gerstmann. Es wird politisch, privat und emotional. Peter Gerstmann widmet das Programm seinem in der vergangenen Woche verstorbenen Vater.
Eng ist es im Gessler 1862. Da sitzt jetzt jemand, der aus seinem Leben erzählt, der mit Worten der Autoren Günter Grass, Berthold Brecht, Wolfgang Borchert und Liedern von Reinhard Mey, Wolfgang Niedecken, Wolf Biermann oder Josef Degenhard sich in seine Seele blicken lässt. Texte, die seine Gedanken und sein Handeln, sein Leben in den 1980er-Jahren bestimmt haben, „als die Sturm- und Drangzeit vorbei war und ein neuer Lebensabschnitt begann“, sagt Gerstmann. Das Publikum lernt ihn als Friedensaktivisten, Sozialisten und Realisten, als Betrachter, Ehemann, Vater von zwei Kindern und als Sohn kennen, der an diesem Abend auf sehr persönliche Weise Abschied von seinem Vater nimmt. In Wohnzimmeratmosphäre hat man den Eindruck, dass es sich weniger um eine öffentliche Veranstaltung, sondern eher um einen Abend unter Freunden handelt, bei dem eben einer aus seinem Leben erzählt, ein Stück weit seine Gedanken offenbart.
Das wird von den ausgewählten Textpassagen namhafter Autoren unterstrichen, die Peter Gerstmanns Leben begleiten. Gelesen werden sie von Friederike Lutz, Leiterin des Schulmuseums, die seit vielen Jahren lesend in der Region unterwegs ist. Auch das Geplänkel der beiden Hauptakteure des Abends trägt zur Wohnzimmeratmosphäre bei. „Sie hat mich für eine Veranstaltung verpflichtet“, sagt er und sie antwortet: „Genau, und das ist jetzt die Revanche“.
Aus der Mitte heraus
Es sind die Texte, die man kennt. Situationen, die viele der Zuhörer ebenfalls erlebt haben. Ob in Bonn im Hofgarten bei den Friedensdemonstrationen gegen den Nato-Doppelbeschluss oder die immer wiederkehrenden Erlebnisse mit den ewig Gestrigen, denen, die früher als Republikaner, heute als angebliche „Alternative“auftreten. „Wählt sie nicht“, sagt Gerstmann und unterstreicht seine Stellungnahme gegen die auch noch im Bodenseekreis lebende Politikerin mit Texten und Liedern. Kurz vorher singt er Hannes Waders „Es ist an der Zeit“– ein Antikriegslied, das von den Lügen derer handelt, die die Menschen im Krieg verheizen. Vom Krieg, der da ist und dem Frieden, für den man widersinniger Weise kämpfen muss. Kurz danach kommt Max von der Grüns „Flächenbrand“, ein Text über rechtes Gedankengut, das sich in der Gesellschaft langsam manifestiert.
Peter Gerstmann positioniert sich, hat eine klare Haltung und macht keinen Hehl daraus. Er gibt sich als Demokrat, als Sozialliberaler und als Mensch, der etwas zu sagen hat. Aber das längst nicht nur politisch. Nach der Pause wird er privat, beschreibt das Treffen mit seiner großen Liebe, die nach zehn gemeinsamen Jahren seine Ehefrau wurde, dass aus dem Duett mit Tochter und Sohn ein Quartett wurde, zudem sich – nach demokratischer Abstimmung innerhalb der Familie – auch noch Hund „Chagall“gesellte, und natürlich Geschichten seines Vaters. „Nach dem Tod meiner Mutter haben wir meinen Vater an den See geholt“, erzählt Gerstmann und nimmt mit „Verdamp lang her“von BAP Abschied, was so manchem Zuschauer die Tränen in die Augen trieb.