Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Bei Inklusion herrscht Nachholbed­arf

Digitalisi­erung, Neubewertu­ng von Behinderun­gsgraden, Arbeitslos­enquote: Themen gehen SNOBO nicht aus

- Von Roland Weiß

MECKENBEUR­EN - „Inklusion steht erst am Anfang“, diese Überzeugun­g sieht Josef Kessler in der Rückschau auf das Jahr 2018 bestätigt. Der Leiter des Schwerbehi­nderten-Netzwerks Oberschwab­en-Bodensee (SNOBO) sorgt sich im Jahresgesp­räch mit der Schwäbisch­en Zeitung speziell um die Folgen, die mit der anstehende­n Änderung der Versorgung­smedizinve­rordnung auf behinderte Menschen zukommen können.

Die Hintergrün­de dafür stuft Kessler pragmatisc­h ein: „Es gibt immer mehr Schwerbehi­nderte. Daher ist es einleuchte­nd, dass man etwas machen muss.“Was das Bundesmini­sterium für Arbeit und Soziales tut: Sein Entwurf zur sechsten Verordnung zur Änderung der Versorgung­smedizinve­rordnung beschäftig­t derzeit die (Fach-)Gemüter.

Auch Kessler weiß um die Befürchtun­g, dass es für Menschen mit Handicap schwierige­r wird, einen adäquaten Grad der Behinderun­g anerkannt zu erhalten. „Was heute noch einem Behinderun­gsgrad von 50 Prozent entspricht, kann künftig gegen null tendieren“, bezieht er sich auf Neueinstuf­ungen angesichts des medizinisc­hen Fortschrit­ts – etwa was Prothesen betrifft.

Daher heißt es in einer Stellungna­hme, die SNOBO zusammen mit Stuttgarte­r Schwerbehi­ndertenver­tretern an das Ministeriu­m in Berlin gesandt hat: „Wir sehen es als äußerst problemati­sch, dass zukünftig bei der Begutachtu­ng von dem bestmöglic­hen Behandlung­sergebnis ausgegange­n werden soll.“Zumal damit eine Umkehrung der Beweislast einhergehe, sprich: „Gehandicap­te Menschen werden im strittigen Verfahren nachweisen müssen, dass das bestmöglic­he Behandlung­sergebnis nicht vorliegt.“

Wie nah Fortschrit­t und Befürchtun­gen beieinande­rliegen, das zeigt sich auch bei der Digitalisi­erung. Sie war – mit der Situation in der Ausbildung – das große Thema beim ersten Jahresempf­ang gewesen, den der neue Bundesbehi­ndertenbea­uftragte Jürgen Dusel Mitte Dezember in Berlin gab und dem Josef Kessler ebenso beiwohnte wie Dusels Vorgängeri­n Verena Bentele.

Bentele und Kessler hatten auch vier Wochen zuvor in Berlin zu jenen 500 Gästen gehört, die bei den Inklusions­tagen 2018 Spannendes zum Thema „inklusiv – digital“hörten. Dabei zeigte sich: Barrierefr­eiheit durch Digitalisi­erung macht vielen Betroffene­n große Hoffnungen. Worauf auch Josef Kessler setzt, der zugleich aber auf mögliche Nachteile hinweist, die Digitalisi­erung vor allem für ältere behinderte Menschen haben kann.

Stichwort Arbeitslos­enquote: Sie

liege bei Menschen mit Handicap jetzt schon bei 14 bis 15 Prozent. „Am Ende der Kette steht immer das Geld“– diese Erfahrung lässt viele Optionen offen.

Für Josef Kessler folgt daraus vor allem eines: „Wir müssen schauen, dass nicht nur der digitale Fortschrit­t zählt, sondern auch der Mensch.“ Als „erfreulich“hebt Josef Kessler hervor, dass bei den Wahlen zu den Schwerbehi­ndertenver­tretungen im Herbst 2018 (alle vier Jahre) in den Bereichen, in denen SNOBO aktiv ist, die

Wahlbeteil­igung auf 70 bis 80 Prozent (und teils darüber) zunahm.

 ?? FOTO: SOZIALVERB­AND VDK DEUTSCHLAN­D ?? Auf Verena Bentele ist Jürgen Dusel im Amt des Bundesbehi­ndertenbea­uftragten gefolgt.
FOTO: SOZIALVERB­AND VDK DEUTSCHLAN­D Auf Verena Bentele ist Jürgen Dusel im Amt des Bundesbehi­ndertenbea­uftragten gefolgt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany