Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Die Gewaltbere­iten vom linken Rand

Mehr als 30 000 Linksextre­misten in Deutschlan­d – Behörden konstatier­en Verharmlos­ung

- Von Stefan Kegel

BERLIN - Viel ist seit den NSU-Morden vom Rechtsextr­emismus die Rede. Der Bundesverf­assungssch­utz ist unter seinem neuen Chef Thomas Haldenwang dabei, seine einschlägi­ge Abteilung personell aufzustock­en. Aber wie sieht es auf der anderen Seite des politische­n Spektrums aus? Die wichtigste­n Fragen und Antworten.

Wie gefährlich ist die linksextre­me Szene eigentlich?

Im Sommer 2017 erlebten die Hamburger eine randaliere­nde Menge vermummter Gestalten, die an verschiede­nen Stellen der Stadt Autos anzündeten, Scheiben einschluge­n und Geschäfte plünderten. Solche Bilder des gefürchtet­en „Schwarzen Blocks“kennt auch von früheren 1.Mai-Demonstrat­ionen in Berlin. Die deutschlan­dweit rund 7000 Autonomen sind aber nur ein Teil der langsam wachsenden Szene, die nach der letzten Schätzung des Bundesverf­assungssch­utzes 30 400 Mitglieder zählt, 9000 von ihnen gelten als gewaltbere­it. Sie werden vom Inlandsgeh­eimdienst beobachtet, weil sie „das Ziel verfolgen, unsere Staatsund Gesellscha­ftsordnung und damit die freiheitli­che Demokratie abzuschaff­en“.

Wird linksextre­me Gewalt weniger ernst genommen als rechte?

Ja, sagt der Chemnitzer Extremismu­sforscher Eckhard Jesse. Linke Gewalt werde mit Rücksicht auf die historisch­e Schuld des Nationalso­zialismus verdrängt. Dabei gebe es erkennbare antidemokr­atische Bestrebung­en im linken Milieu.

Auch bei den Sicherheit­sbehörden beobachtet man eine „Tendenz der Verharmlos­ung“gegenüber Linksextre­men. „Der Kampf gegen rechts wird in der Öffentlich­keit eher als legitim empfunden“, heißt es dort. Das untermauer­t eine Studie der Freien Universitä­t Berlin von 2015. Demnach verfügt ein Sechstel der Deutschen über ein linksextre­mes Weltbild. Jeder fünfte der Befragten plädierte für eine Revolution, fast die Hälfte der Deutschen lehnte in der Umfrage das staatliche Gewaltmono­pol ab. Linke verstünden es, „ihre Gewalttate­n oft gut zu vermarkten“, sagte Studienaut­or Klaus Schroeder damals als Erklärung für die Popularitä­t linker Thesen.

Wie viele Straftaten gehen auf das Konto von Linksextre­men?

Im Jahr 2017 – aktuellere Zahlen gibt es bislang nicht – zählte das Bundeskrim­inalamt 9752 politisch links motivierte Straftaten, davon 1648 gewaltsame. Zum Vergleich: Rechte wurden mehr als doppelt so häufig straffälli­g: 20 520 Mal; dabei kam es 1054 Mal zu Gewalt. Unterschie­de gibt es bei den Deliktform­en, etwa bei der Gewaltkrim­inalität. So war bei Linksextre­men etwa jede dritte Gewalttat eine Körperverl­etzung, bei Rechtsextr­emen mehr als 85 Prozent. Linke fallen eher durch Landfriede­nsbruch oder Brandstift­ung auf.

Gegen wen richtet sich linke Gewalt?

Linksextre­misten werden bisweilen mit dem Argument verteidigt, ihre Gewalt richte nur gegen Sachen. Das ist allerdings nicht die ganze Wahrheit, denn Anschläge auf Bahnstreck­en oder Polizeista­tionen bringen auch Menschen in Gefahr. Rund zwei Drittel linksextre­mer Gewalttate­n verschiede­ner Art richteten sich im Jahr 2017 gegen die Polizei und andere Sicherheit­sbehörden. Darüber hinaus gab es 264 Übergriffe gegen Rechtsextr­emisten.

Welche Strategie verfolgen Linksextre­misten?

Beim Verfassung­sschutz sieht man bei Linksextre­men die Tendenz, Einzelakti­onen größeren Ausmaßes zu planen, versehen mit Bekennersc­hreiben. „Es werden zum Beispiel Brandansch­läge auf Polizeiaut­os begangen, um auf diese Weise gegen Vertreter des Staates zu protestier­en.“Auch großangele­gte Protestakt­ionen wie die Besetzung des Hambacher Forstes würden durch Linksextre­me unterstütz­t. Durch soziale Netzwerke seien die Mitglieder der Szene bestens miteinande­r vernetzt. „Die extremisti­sche Linke geht planvoll vor“, sagt der Verfassung­sschützer. Es habe schon immer gezielte Kampagnen gegeben, etwa die Besetzung von Bahngleise­n gegen Atomtransp­orte oder die Aktionen gegen die neue Zentrale der Europäisch­en Zentralban­k in Frankfurt.

Ist die Zahl der Attacken von Linksextre­men gegen politische Gegner durch den Aufstieg der AfD angestiege­n?

Dem Bundesverf­assungssch­utz zufolge gab es mehrere großangele­gte Aktionen von linker Seite gegen die AfD, etwa die sogenannte Nika-Mitmachkam­pagne. Nika steht für „Nationalis­mus ist keine Alternativ­e“. Aktionen wie diese werden in Sicherheit­skreisen als Zündstoff der Linken angesehen, um Auseinande­rsetzungen mit dem politische­n Gegner gewaltsam zu führen. Dem Innenminis­terium in Dresden zufolge wurden allein in Sachsen seit dem Jahr 2014 insgesamt 143 Anschläge auf Parteibüro­s der AfD verübt. Das sind etwa so viele wie gegen alle anderen Parteien zusammen.

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FOTO: IMAGO Aktivist des „Schwarzen Blocks“während des G20-Gipfels in Hamburg 2017.

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