Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Mit Gustav Klimt im Bett
Wir sind alle mit Kunst aufgewachsen, wissen es aber meistens nicht. Ich war den Pickeln schon entwachsen, als mir klar wurde, dass die bunt bedruckten Vorhänge damals im Kindergarten einem Gemälde von Joan Miro nachempfunden waren. Schon zu jener Zeit wimmelte es nur so von Kunst-Reproduktionen. So manche Sitzkissen, Sofastoffe, Duschvorhänge und Tapetenmuster hätte es ohne die Kunst des 20. Jahrhunderts nie gegeben. In den Posterständern der Kaufhäuser fand man schon in den späten 70erJahren bestimmt die sogenannten „Weichen Uhren“von Salvador Dalí, und die scheinheilig versonnen blickenden Engelchen von Raffael schmücken bis heute vom Schirmständer bis zum Hundehalsband jeden Ramsch.
Wenn wir alle mit Kunst aufgewachsen sind, warum interessiert sich für sie dann nur eine Minderheit? Vermutlich, weil die meisten von uns nicht an sie herangeführt wurden. Ohne diesen Schritt ist Kunst nichts Besonderes. In der kapitalistischen Marktwirtschaft büßt die Kunst besonders leicht ein, was sie im Innersten ausmacht. Denn rund um sie entsteht eine Warenwelt, die das Design als verkaufsfördernde Größe entdeckt – also die im weitesten Sinne künstlerische Gestaltung. Alles verkauft sich besser, wenn es schön, einzigartig, individuell gestaltet ist. Spätestens wenn Designer zu diesem Zweck direkt auf Kunstwerke zurückgreifen, ist der Ofen ganz aus. Wie soll man jemandem verständlich machen, dass Gustav Klimts Gemälde „Der Kuß“etwas Besonderes ist, wenn es dieses Motiv als Bettwäsche für 69,90 Euro im Online-Shop gibt?
Pappsatt mit berühmter Kunst
An den berühmtesten Werken der Kunstgeschichte sollte man sich nicht sattsehen können. Aber wir sind pappsatt. Die Mona Lisa, van Goghs Sonnenblumen, der Seerosenteich von Monet stehen uns bis obenhin. Diese Meisterwerke sind allgegenwärtig und fördern dadurch nur die Gleichgültigkeit. Wenn das Schöne und Herausragende massenhaft verbreitet wird, ebnet sich seine Einzigartigkeit ein. Man kann sagen, dass es dadurch seine Seele verliert. Die Schauspielerin Marlene Dietrich hat das im Alter in Bezug auf sich selbst erkannt. „Ich bin zu Tode fotografiert worden“, sagte sie. Könnte Mona Lisa sprechen, würde sie dasselbe sagen.
Und was jetzt? Wie wäre es mit einem altmodischen Vorschlag: Entgiften wir uns von der Wirkung der Kunst-Reproduktionen, indem wir uns den Originalen zuwenden – allerdings Originalen von Künstlern, die gar nicht erst in die Mühle der massenhaften Reproduktion gerieten. Es sind Künstler, die keine Stars des Kunstmarkts sind. Gerade deshalb wird ihre Arbeit auch nicht banalisiert. Solche Künstler, die nicht massenmedial verwurstet werden, werden einem nicht permanent entgegengehalten. Man muss sie selbst entdecken. Es sind Künstler, über deren Kunst man eigene Gedanken zu entwickeln vermag. Bei Dalí, van Gogh oder da Vinci wurde einem der Mut zur eigenen Sichtweise dagegen schon durch Heerscharen von Kunstwissenschaftlern ausgetrieben, die alle klüger sind als man selbst.
Oft ist diese unbekannte Kunst zwar nicht billig, aber erschwinglich. Es muss also kein millionenfach vervielfältigtes Kunst-Poster sein. Man kann sich ein Original an die Wand hängen. Wenn das von einem noch lebenden Künstler stammt, trägt man auch dazu bei, dass er von seiner Kunst leben kann. Am Poster von Dalís „Weichen Uhren“verdienen dagegen nur seine Erben.
Die Kulturtipps der Woche: Das Kammerorchester Basel tritt am Donnerstag, 14. Februar, 20 Uhr, im