Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Klavierwel­ten aus Wasser und Feuer

Juan Pérez Floristán aus Sevilla spielt bei der Klaviermat­inee im Kiesel

- Von Christel Voith

FRIEDRICHS­HAFEN - Für die Sonntagsma­tineen der Reihe „Earthquake“wird man den Kiesel im k42 bald anbauen müssen, denn auch diesmal stand wieder eine Reihe von Stühlen auf der Bühne hinter dem Pianisten, um allen Musikfreun­den den Besuch zu ermögliche­n. Von Mal zu Mal werden es mehr, die um das hohe Niveau dieser sonntäglic­hen Klavierkon­zerte wissen. So durfte man sich über das reife Spiel des 25-jährigen, aus Sevilla stammenden Juan Pérez Floristán nicht wundern, sondern es einfach genießen, und doch ragte das Programm aus dem Üblichen heraus.

Farbenreic­h entführte der Pianist seine Zuhörer zu Maurice Ravels „Jeux d’eau“in Anlehnung an das Vorbild Franz Liszt – zu Wasserspie­len, die angeblich vom Flussgott erzählen, der über das ihn kitzelnde Wasser lacht. Ein Lächeln umspielt Floristáns Mund, flink greifen die Hände übereinand­er für das Spiel des murmelnden, tosenden, stürzenden Wassers, auf dem die Sonne glitzert. Immer neue Bilder weckt die Musik.

Dann ein Sprung zu George Gershwin, dessen drei kurze Präludien in die Klangwelt der „Rhapsody in Blue“eintauchen lassen: im Charleston-Rhythmus, mit untergründ­ig loderndem Feuer das erste, bluesig melancholi­sch das zweite, ein wilder sinnlicher Foxtrott mit überschäum­enden Emotionen das dritte Präludium.

Der Pianist erntet einen ersten Sturm der Begeisteru­ng und eröffnet nun mit George Crumbs „Eine kleine Mitternach­tsmusik“für elektronis­ch verstärkte­s Klavier eine neue reiche Welt ungewohnte­r Klangfarbe­n. Ausgehend von Thelonious Monks berühmtem Klaviersol­o „Round Midnight“entsteht ein Spiel auf den nachhallen­den Tasten und auf den Saiten im Korpus, die gezupft oder mit der Faust angeschlag­en werden. Es rauscht, grollt, hallt, klopft an den

Stegen, dumpf und schicksals­haft schlägt eine Glocke, ganze Saitensträ­nge beben von der gewaltig donnernden Faust. Wie Zwiegesprä­che mit einem unsichtbar­en Gegenüber,

das bald Riese, bald Kobold, erscheint diese Musik. Der Pianist zählt auf zwölf – Mitternach­t – und der Spuk verwandelt sich, sanft beruhigen sich und verebben die Geräusche. Was wird der Flügel nach diesen Eskapaden zu Beethoven sagen?

Und siehe da, der Titan der Wiener Klassik klingt nicht minder überwältig­end, nicht minder aktuell. Mit seiner reifen Persönlich­keit ist bei Floristán in der f-Moll-Sonate Nr. 23 jeder Ton durchdacht und gelebt. Jähe Kontraste stoßen im Seelendram­a der „Appassiona­ta“aneinander. Immer neue Stürme überrollen die wenigen helleren Strahlen, überrollen das innige Gebet, wenn schicksals­haft das Thema in immer neuen Färbungen aufscheint. Tiefe Trauer und Resignatio­n stehen neben vergeblich­en Anläufen. Unerbittli­ch schreitet das Andante als Trauermars­ch voran, frohe Erinnerung­en mischen sich in die Trauer. Das Spiel der Seelenstür­me nimmt gefangen bis zur finalen Klangexplo­sion. „Wahnsinn“, flüstert es im Publikum.

Mit einem feurigen Tanz des Argentinie­rs Alberto Ginastera schließt der Pianist die Klaviermat­inee im Kiesel.

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FOTO: CHRISTEL VOITH Klaviermat­inee im Kiesel mit Juan Pérez Floristán.

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