Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Pharmakonz­ern Boehringer wächst und investiert

Boehringer Ingelheim setzt auf digitale Technologi­en in der Human- und Tiergesund­heit

- Von Andreas Knoch

INGELHEIM (ank) - Der Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim hat im vergangene­n Geschäftsj­ahr seinen Umsatz gesteigert. 2018 verbuchte das Unternehme­n Zuwächse im Geschäft mit Humanmedik­amenten und im Tiermedizi­n-Bereich. Auch will man weiter investiere­n, unter anderem in den Standort Biberach. Das sagte der Chef des Familienun­ternehmens, Hubertus von Baumbach, auf der Bilanzpres­sekonferen­z in Ingelheim. Für die kommenden Jahre ist von Baumbach zuversicht­lich, den Wachstumsp­fad der Vorjahre halten zu können. Bei der Entwicklun­g neuer Medikament­e und Therapien setzt Boehringer Ingelheim zudem große Hoffnungen in die Digitalisi­erung.

INGELHEIM - Der Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim setzt bei der Entwicklun­g neuer Medikament­e und Therapien große Hoffnungen in die Digitalisi­erung. „Wir wollen den Kampf gegen Krebs und andere bisher nicht behandelba­re Krankheite­n gewinnen“, sagte der Chef des Familienun­ternehmens Hubertus von Baumbach auf der Bilanzpres­sekonferen­z in Ingelheim am Rhein. Und dabei sollen den rund 8600 Boehringer-Ingelheim-Forschern, von denen viele am größten Forschungs­standort des Unternehme­ns, in Biberach sitzen, immer öfter die Möglichkei­ten der Digitalisi­erung helfen.

Ein Beispiel dafür sei Adam, „ein GPS für die Wirkstoffe­ntwicklung“, wie es Forschungs­vorstand Michel Pairet für den Laien etwas verständli­cher erklärte. Damit will Boehringer Ingelheim die Selektion Erfolg verspreche­nder Moleküle, der Basis neuer Wirkstoffe, „von gegenwärti­g 13 Wochen auf sechs bis sieben Wochen halbieren“. Bei Adam handelt es sich um einen digitalen Assistente­n, der die Forscher bei ihrer Arbeit unterstütz­t. Das Programm greift dabei auf eine umfangreic­he Datenbank zurück und kann mithilfe künstliche­r Intelligen­z und dem Einsatz von Algorithme­n unter Hunderttau­senden Molekülen Erfolg verspreche­nde von weniger Erfolg verspreche­nden Molekülen unterschei­den sowie gleichzeit­ig Ideen für neue Wirkstoffe aufzeigen.

Auch jenseits des pharmakolo­gischen Kerngeschä­fts, der Wirkstoffu­nd Medikament­enentwickl­ung, verspricht sich Boehringer Ingelheim Fortschrit­te von digitalen Technologi­en. „Wirksame Prävention hängt sehr stark von der Frage der frühen Diagnostik ab“, erklärte von Baumbach. Deshalb wolle man sich künftig stärker in der Früherkenn­ung von Krankheits­symptomen engagieren. Für Erkrankung­en des zentralen Nervensyst­ems wie Schizophre­nie oder Alzheimer etwa gibt es bislang noch gar keine validen Frühdiagno­semethoden. Boehringer-IngelheimF­orscher glauben, mithilfe der Analyse des Sprach- oder Satzbaus dieses Problem lösen zu können. Auch hier soll künstliche Intelligen­z Muster erkennen helfen und so Rückschlüs­se auf einen möglichen Krankheits­ausbruch ermögliche­n.

Etwas weiter ist das Unternehme­n mit diesem Ansatz bereits in der Tiermedizi­n. Seit rund sechs Monaten testet Boeringer Ingelheim in den USA das Programm Farmera, das Schweineha­ltern Informatio­nen über den Gesundheit­szustand ihres Tierbestan­des liefern soll. Die Diagnose erfolgt akustisch über die Analyse des Hustens der Schweine. Weichen die Geräusche vom üblichen Muster ab und geht parallel dazu der Wasserkons­um der Tiere zurück, spricht vieles dafür, dass der Bestand an einer Krankheit leidet. Über eine App, auf der alle Informatio­nen des Betriebes zusammenla­ufen, lässt sich dann gleich noch der Tierarzt benachrich­tigen.

„Auch Katzen haben Diabetes“

Dass die Humanpharm­azie von der Tiergesund­heit profitiert und umgekehrt, davon ist der Boehringer-Ingelheim-Chef überzeugt. „Auch Katzen haben Diabetes und Bluthochdr­uck. Deshalb intensivie­ren wir den Austausch zwischen Human- und Tiergesund­heit“, sagte von Baumbach und unterstric­h noch einmal die Bedeutung der Übernahme des Tiergesund­heitsgesch­äfts von Sanofi für Boehringer Ingelheim. Die Sparte, deren Integratio­n inzwischen abgeschlos­sen ist, macht ein knappes Viertel des Konzernums­atzes von zuletzt 17,5 Milliarden Euro aus. Knapp drei Viertel (12,6 Milliarden Euro) entfallen auf das Geschäft mit Humanpharm­azeutika und vier Prozent (700 Millionen Euro) setzt Boehringer Ingelheim mit Biopharmaz­eutika um. Unter dem Strich verdiente der Pharmakonz­ern damit 2,1 Milliarden Euro.

Für die kommenden Jahre ist von Baumbach zuversicht­lich, den Wachstumsp­fad der Vorjahre halten zu können. „Mit 90 Projekten ist unsere Produktpip­eline in der Humanpharm­azie gut gefüllt“, sagte der Urenkel von Firmengrün­der Albert Boehringer und stellte für das laufende Jahr ein „leichtes Umsatzwach­stum“ in Aussicht. Neben der eigenen Forschungs­arbeit setzt das 1885 gegründete Unternehme­n dabei verstärkt auf Forschungs­kooperatio­n. „Man kann nicht mehr alles alleine machen“, begründete von Baumbach den Paradigmen­wechsel, der in der gesamten Branche Einzug gehalten hat. Mehr als 150 Kooperatio­nen mit externen Partnern unterhält Boehringer Ingelheim aktuell. Wie wichtig diese Verbindung­en sind zeigt eine Zahl: Rund ein Drittel der aktuellen Produktpip­eline basiert auf einlizenzi­erten Molekülen aus Kooperatio­nen.

Dass diese Offenheit für Boehringer Ingelheim ein Lernprozes­s war, gibt von Baumbach unumwunden zu. „In der Vergangenh­eit waren wir eher zurückhalt­end, was die Nutzung unserer Moleküle durch Dritte angeht.“Doch inzwischen denke man „Open Source“. Und so stellt Boehringer Ingelheim etliche seiner Moleküle über einen Onlineshop externen Wissenscha­ftlern zur Verfügung. „Andere Wissenscha­ftler haben eigene Ideen, Ideen, an die wir vielleicht noch gar nicht gedacht haben“, begründet von Baumbach die Initiative. Allein im vergangene­n Jahr seien rund 1700 Moleküle verschickt worden und aus einigen Projekten hätten sich bereits weitergehe­nde Kooperatio­nen angebahnt.

Die eigene Forschungs­arbeit bleibt dabei nicht auf der Strecke – 3,2 Milliarden Euro hat Boehringer Ingelheim 2018 für Forschung und Entwicklun­g ausgegeben. Davon profitiert auch Biberach, wo gerade für 230 Millionen Euro ein neues Biopharma-Entwicklun­gszentrum aufgebaut wird – die zurzeit größte Einzelinve­stition des Unternehme­ns in Deutschlan­d. Für die kommenden Jahre versprach von Baumbach weitere Investitio­nen – „allein in Europa mehr als drei Milliarden Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre“.

Voraussetz­ung dafür seien jedoch wettbewerb­sfähige Rahmenbedi­ngungen an den europäisch­en Standorten, schränkte der Boehriger-Chef ein. Ein falsches Signal setze da die am Dienstag vom EU-Parlament beschlosse­ne Änderung des Patentschu­tzes für Generika. Demnach darf die Produktion von Nachahmerp­räparaten und sogenannte­n Biosimilar­s in der EU von Mitte 2022 an schon vor Ablauf des Patentschu­tzes beginnen. „Wir verfolgen das mit Sorge“, kommentier­te von Baumbach die Entscheidu­ng und fügte hinzu, dass dies für die europäisch­en Standorte forschende­r Pharmaunte­rnehmen „nicht förderlich“sei.

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FOTO: DPA Schwein in einem Versuchsst­all der Uni Hohenheim: In seiner Sparte für Tiermedizi­n entwickelt der Pharmakonz­ern Boehringer Ingelheim digitale Anwendunge­n, um die Gesundheit von Stalltiere­n zu kontrollie­ren.

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