Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Pharmakonzern Boehringer wächst und investiert
Boehringer Ingelheim setzt auf digitale Technologien in der Human- und Tiergesundheit
INGELHEIM (ank) - Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim hat im vergangenen Geschäftsjahr seinen Umsatz gesteigert. 2018 verbuchte das Unternehmen Zuwächse im Geschäft mit Humanmedikamenten und im Tiermedizin-Bereich. Auch will man weiter investieren, unter anderem in den Standort Biberach. Das sagte der Chef des Familienunternehmens, Hubertus von Baumbach, auf der Bilanzpressekonferenz in Ingelheim. Für die kommenden Jahre ist von Baumbach zuversichtlich, den Wachstumspfad der Vorjahre halten zu können. Bei der Entwicklung neuer Medikamente und Therapien setzt Boehringer Ingelheim zudem große Hoffnungen in die Digitalisierung.
INGELHEIM - Der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim setzt bei der Entwicklung neuer Medikamente und Therapien große Hoffnungen in die Digitalisierung. „Wir wollen den Kampf gegen Krebs und andere bisher nicht behandelbare Krankheiten gewinnen“, sagte der Chef des Familienunternehmens Hubertus von Baumbach auf der Bilanzpressekonferenz in Ingelheim am Rhein. Und dabei sollen den rund 8600 Boehringer-Ingelheim-Forschern, von denen viele am größten Forschungsstandort des Unternehmens, in Biberach sitzen, immer öfter die Möglichkeiten der Digitalisierung helfen.
Ein Beispiel dafür sei Adam, „ein GPS für die Wirkstoffentwicklung“, wie es Forschungsvorstand Michel Pairet für den Laien etwas verständlicher erklärte. Damit will Boehringer Ingelheim die Selektion Erfolg versprechender Moleküle, der Basis neuer Wirkstoffe, „von gegenwärtig 13 Wochen auf sechs bis sieben Wochen halbieren“. Bei Adam handelt es sich um einen digitalen Assistenten, der die Forscher bei ihrer Arbeit unterstützt. Das Programm greift dabei auf eine umfangreiche Datenbank zurück und kann mithilfe künstlicher Intelligenz und dem Einsatz von Algorithmen unter Hunderttausenden Molekülen Erfolg versprechende von weniger Erfolg versprechenden Molekülen unterscheiden sowie gleichzeitig Ideen für neue Wirkstoffe aufzeigen.
Auch jenseits des pharmakologischen Kerngeschäfts, der Wirkstoffund Medikamentenentwicklung, verspricht sich Boehringer Ingelheim Fortschritte von digitalen Technologien. „Wirksame Prävention hängt sehr stark von der Frage der frühen Diagnostik ab“, erklärte von Baumbach. Deshalb wolle man sich künftig stärker in der Früherkennung von Krankheitssymptomen engagieren. Für Erkrankungen des zentralen Nervensystems wie Schizophrenie oder Alzheimer etwa gibt es bislang noch gar keine validen Frühdiagnosemethoden. Boehringer-IngelheimForscher glauben, mithilfe der Analyse des Sprach- oder Satzbaus dieses Problem lösen zu können. Auch hier soll künstliche Intelligenz Muster erkennen helfen und so Rückschlüsse auf einen möglichen Krankheitsausbruch ermöglichen.
Etwas weiter ist das Unternehmen mit diesem Ansatz bereits in der Tiermedizin. Seit rund sechs Monaten testet Boeringer Ingelheim in den USA das Programm Farmera, das Schweinehaltern Informationen über den Gesundheitszustand ihres Tierbestandes liefern soll. Die Diagnose erfolgt akustisch über die Analyse des Hustens der Schweine. Weichen die Geräusche vom üblichen Muster ab und geht parallel dazu der Wasserkonsum der Tiere zurück, spricht vieles dafür, dass der Bestand an einer Krankheit leidet. Über eine App, auf der alle Informationen des Betriebes zusammenlaufen, lässt sich dann gleich noch der Tierarzt benachrichtigen.
„Auch Katzen haben Diabetes“
Dass die Humanpharmazie von der Tiergesundheit profitiert und umgekehrt, davon ist der Boehringer-Ingelheim-Chef überzeugt. „Auch Katzen haben Diabetes und Bluthochdruck. Deshalb intensivieren wir den Austausch zwischen Human- und Tiergesundheit“, sagte von Baumbach und unterstrich noch einmal die Bedeutung der Übernahme des Tiergesundheitsgeschäfts von Sanofi für Boehringer Ingelheim. Die Sparte, deren Integration inzwischen abgeschlossen ist, macht ein knappes Viertel des Konzernumsatzes von zuletzt 17,5 Milliarden Euro aus. Knapp drei Viertel (12,6 Milliarden Euro) entfallen auf das Geschäft mit Humanpharmazeutika und vier Prozent (700 Millionen Euro) setzt Boehringer Ingelheim mit Biopharmazeutika um. Unter dem Strich verdiente der Pharmakonzern damit 2,1 Milliarden Euro.
Für die kommenden Jahre ist von Baumbach zuversichtlich, den Wachstumspfad der Vorjahre halten zu können. „Mit 90 Projekten ist unsere Produktpipeline in der Humanpharmazie gut gefüllt“, sagte der Urenkel von Firmengründer Albert Boehringer und stellte für das laufende Jahr ein „leichtes Umsatzwachstum“ in Aussicht. Neben der eigenen Forschungsarbeit setzt das 1885 gegründete Unternehmen dabei verstärkt auf Forschungskooperation. „Man kann nicht mehr alles alleine machen“, begründete von Baumbach den Paradigmenwechsel, der in der gesamten Branche Einzug gehalten hat. Mehr als 150 Kooperationen mit externen Partnern unterhält Boehringer Ingelheim aktuell. Wie wichtig diese Verbindungen sind zeigt eine Zahl: Rund ein Drittel der aktuellen Produktpipeline basiert auf einlizenzierten Molekülen aus Kooperationen.
Dass diese Offenheit für Boehringer Ingelheim ein Lernprozess war, gibt von Baumbach unumwunden zu. „In der Vergangenheit waren wir eher zurückhaltend, was die Nutzung unserer Moleküle durch Dritte angeht.“Doch inzwischen denke man „Open Source“. Und so stellt Boehringer Ingelheim etliche seiner Moleküle über einen Onlineshop externen Wissenschaftlern zur Verfügung. „Andere Wissenschaftler haben eigene Ideen, Ideen, an die wir vielleicht noch gar nicht gedacht haben“, begründet von Baumbach die Initiative. Allein im vergangenen Jahr seien rund 1700 Moleküle verschickt worden und aus einigen Projekten hätten sich bereits weitergehende Kooperationen angebahnt.
Die eigene Forschungsarbeit bleibt dabei nicht auf der Strecke – 3,2 Milliarden Euro hat Boehringer Ingelheim 2018 für Forschung und Entwicklung ausgegeben. Davon profitiert auch Biberach, wo gerade für 230 Millionen Euro ein neues Biopharma-Entwicklungszentrum aufgebaut wird – die zurzeit größte Einzelinvestition des Unternehmens in Deutschland. Für die kommenden Jahre versprach von Baumbach weitere Investitionen – „allein in Europa mehr als drei Milliarden Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre“.
Voraussetzung dafür seien jedoch wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen an den europäischen Standorten, schränkte der Boehriger-Chef ein. Ein falsches Signal setze da die am Dienstag vom EU-Parlament beschlossene Änderung des Patentschutzes für Generika. Demnach darf die Produktion von Nachahmerpräparaten und sogenannten Biosimilars in der EU von Mitte 2022 an schon vor Ablauf des Patentschutzes beginnen. „Wir verfolgen das mit Sorge“, kommentierte von Baumbach die Entscheidung und fügte hinzu, dass dies für die europäischen Standorte forschender Pharmaunternehmen „nicht förderlich“sei.