Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)
Regierung darf EU-Grenzwerte nicht aufweichen
Neue Stickoxid-Werte verhindern Fahrverbote nicht – Umwelthilfe: „Ohrfeige für Bundesregierung“
MANNHEIM (AFP) - Die erst im März beschlossene Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes kann einem Gerichtsurteil zufolge Fahrverbote für Dieselautos nicht verhindern. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) veröffentlichte am Mittwoch die volle Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs BadenWürttemberg in Mannheim zu Fahrverboten in Reutlingen. Demnach dürfe die Bundesregierung „nicht unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unionsrechtlich geltende, dem Gesundheitsschutz verpflichtende Grenzwerte de facto aufweichen oder aushöhlen“.
Wenn Dieselfahrverbote bei einer Stickoxid-Belastung von bis zu 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft durch die Gesetzesänderung ausgeschlossen würden, sei das ein „klarer Verstoß gegen den Vorrang des Unionsrechts“. Um den gültigen EUGrenzwert von 40 Mikrogramm schnellstmöglich einzuhalten, sei die Aussperrung älterer Diesel ein angemessenes Mittel. Wegen „grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache“können die Prozessbeteiligten Berufung vor dem Bundesverwaltungsgericht einlegen.
Die DUH hatte in Reutlingen – wie in zahlreichen anderen Städten – auf Fahrverbote geklagt, weil der Grenzwert seit Jahren deutlich überschritten wird. In Reutlingen wurden im vergangenen Jahr an einer Messstation im Jahresmittel 53 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft gemessen. Die Landesregierung hatte gehofft, unter Verweis auf die erst kurz vor der Gerichtsverhandlung im März beschlossene „Aufweichung“des Grenzwerts Fahrverbote vermeiden zu können.
DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte: „Die Urteilsbegründung ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die mit der Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im März den Eindruck erwecken wollte, dass damit Einfahrbeschränkungen für schmutzige Dieselfahrzeuge nicht mehr notwendig seien.“Er erklärte weiter: „Unter den giftigen Dieselabgasen leidende Kinder, Asthmatiker, ältere Menschen und Lungenvorgeschädigte profitieren von dem klaren Urteil und können hoffentlich bald in Reutlingen eine ,Saubere Luft’ einatmen.“
Die gerichtliche Anordnung der Fahrverbote war auch deshalb ein Rückschlag für die Bundesregierung, weil die Kreisstadt zu fünf Modellstädten für saubere Luft gehört, die das Bundesverkehrsministerium für Maßnahmen zur Vermeidung von Fahrverboten ausgewählt hatte. Die Reutlinger erhalten gut 19 Millionen Euro Förderung vom Bund, die sie unter anderem in den Ausbau des Busnetzes und ein Jahresticket für 365 Euro investiert haben.