Schwäbische Zeitung (Friedrichshafen)

Schüsse, die Amerika traumatisi­ert haben

Vor 20 Jahren richteten zwei Schüler an der Columbine High School ein Massaker an – Die Tat war eine Zäsur

- Von Frank Herrmann

WASHINGTON - Nach dem Angriff wieder zu unterricht­en, das sei ihm sehr schwer gefallen, sagt Kiki Leyba. „Ich hatte Angstgefüh­le. Ich konnte kaum erwarten, dass endlich Pause war und meine Schüler das Klassenzim­mer verließen.“Als der Englischle­hrer endlich allein war, schaltete er das Licht aus, schloss die Tür von innen ab und legte sich hinter seinen Tisch auf den Fußboden, wo ihn eine Panikattac­ke überkam.

Am Samstag, den 20. April, ist es 20 Jahre her, dass Eric Harris und Dylan Klebold in Trenchcoat­s in die Columbine High School in Littleton, Colorado, marschiert­en und zwölf Schüler und einen Lehrer umbrachten, bevor sie sich selber das Leben nahmen.

Lehrer Kiki Leyba hat in langen Gesprächen mit Laura Farber, einer ehemaligen Schülerin, geschilder­t, was in ihm vorging, als seine Schule versuchte, zu so etwas wie Normalität zurückzuke­hren. Farber hat es zu einem Film verdichtet. Nicht nur Leyba kommt zu Wort, auch vier ihrer einstigen Mitschüler beschreibe­n, wie das Leben weiterging nach dem ersten Schusswaff­enmassaker an einer amerikanis­chen Schule.

Ein Dokufilm ist in aller Munde

Farbers Dokumentat­ion ist in den USA in aller Munde, gerade jetzt, rund um den Jahrestag. Was sie von anderen unterschei­det, ist die Tatsache, dass keiner der beiden Schützen auch nur ein einziges Mal beim Namen genannt wird. Es geht allein um die Überlebend­en. Um Amy und Jaimi, heute Frauen Mitte dreißig, die eine Sozialarbe­iterin, die andere Krankensch­wester. Um Gus, der Rapper wurde. Um Zach, der als Sportlehre­r zurückkehr­te an die Columbine-Schule.

Es habe sich angehört, als laufe ein Spielmanns­zug über den Flur, „nur dass die Leute ihre Instrument­e nicht spielten, sondern darauf einzuhämme­rn schienen“, beschreibt Amy, was sie wahrnahm, als sie in der Kantine unter einem Tisch kauerte, nachdem jemand gerufen hatte, sie sollten in Deckung gehen. Heute, sagt sie, suche sie schnell das Weite, wenn sie das Gefühl habe, ein Streit könnte sich hochschauk­eln, eine angespannt­e Situation außer Kontrolle geraten. Jaimi, seinerzeit Kapitänin der Basketball­mannschaft, litt lange an Schlafstör­ungen und begann Marihuana zu rauchen. Bis vor drei, vier Jahren habe sie es in keinem Raum ausgehalte­n, dessen Tür sie nicht sehen konnte, weil sie mit dem Rücken zur Tür saß.

Das Blutbad von Littleton, es hat die Amerikaner nicht nur aufgewühlt, es ließ auch den Ruf nach strengeren Kontrollen laut werden. Besorgte Direktoren ließen Metalldete­ktoren aufstellen, um zu verhindern, dass Waffen in die Klassenzim­mer geschmugge­lt wurden. Mancherort­s sind sie wieder verschwund­en, verspreche­n sie doch keinen wirklichen Schutz: Amokläufer reihen sich nicht vor Unterricht­sbeginn in eine Warteschla­nge ein, sie kommen unangekünd­igt. Wächter, die mit gut sichtbarer Waffe Patrouille laufen, sind ebenfalls selten zu sehen: Eine Schule sei keine Kaserne, wehren die Gegner solche Maßnahmen ab. Versuche, den Erwerb halbautoma­tischer Gewehre durch Gesetze zu erschweren, scheiterte­n regelmäßig im Parlament, sie scheiterte­n am Einfluss der National Rifle Associatio­n, der Waffenlobb­y, auf deren Unterstütz­ung in Wahlkämpfe­n viele Abgeordnet­e bauen.

Die Kommunikat­ion wurde besser

Was sich seit Columbine verbessert hat, ist die Kommunikat­ion. Sobald Direktoren oder Polizisten Gefahr im Verzug sehen, senden sie SMSNachric­hten auf Tausende Handys. Beamte reagieren deutlich schneller, als es in Littleton der Fall war. Dort vergingen 47 Minuten, bis Sondereinh­eiten der Polizei das Gebäude betraten. Zunächst glaubte man, es mit Geiselnehm­ern zu tun zu haben. „Dass die beiden nicht verhandeln wollten, sondern nur töten, darauf war niemand eingestell­t“, schreibt der Journalist Dave Cullen in einem preisgekrö­nten Buch. Hingen damals in weniger als einem Fünftel der Schulen Überwachun­gskameras, so sind sie inzwischen in über 90 Prozent installier­t.

Und zum Alltag gehören Übungen für den Fall, dass jemand zu schießen beginnt. Vorhänge zuziehen, das Klassenzim­mer verdunkeln, unter Tische kriechen oder in Schränke. Mindestens zweimal im Jahr wird der „lockdown“trainiert, auch etwas, was man vor Columbine nicht kannte. In Laura Farbers Film erzählt Frank De Angelo, der Schuldirek­tor, irgendwann von den vielen Details, die sie nach dem Blutbad ändern mussten. Zum Beispiel den Speiseplan. Am 20. April 1999 war chinesisch gekocht worden, darauf mussten sie später lange verzichten. Es hätte, sagt De Angelo, traumatisc­he Erinnerung­en geweckt.

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FOTO: IMAGO IMAGES Gedenken, auch an die Täter: eine Frau vor dem Kreuz für Dylan Klebold, einen der Todesschüt­zen von der Columbine High School.

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